„Keine Wunderwaffe, keine Supermänner“

Mit einfachen Mitteln gelang den norwegischen Tauchern, was die russische Rettungsmannschaft mit ihrem Spezialgerät nicht schaffte

OSLO taz ■ Erland Raanes, norwegischer Marinekapitän und der Mann, der den Journalisten die Operationen der norwegischen Tiefseetaucher an der „Kursk“ erklärt, ist der ganze Medienrummel um die Spezialtaucher aus Norwegen und Großbritannien peinlich: „Das ist keine Wunderwaffe, und das sind keine Supermänner, solche Taucher hat praktisch jede Marine und jedes spezialisierte Tauchunternehmen auf der Welt.“ Mit Ausnahme der russischen Flotte offenbar.

Auch dass den zwölf Tauchern in wenigen Stunden mit relativ einfachen Mitteln mehr gelang als dem ferngesteuerten Spezialrettungsgerät in einer Woche, kommt für Raanes nicht unerwartet: „Wenn die ferngesteuerten und genormten Rettungsgeräte nicht mehr andocken können, bleibt nur Handarbeit übrig.“ Genutzt hat es nichts. Die 118-köpfige Besatzung der „Kursk“ ist tot, bestätigte gestern die russische Marineführung. Vorher hatten das norwegisch-britische Taucherteam noch die beiden Schleusenklappen zur Rettungsluke öffnen können. Die darunter liegenden Kammern fanden sie aber völlig überflutet vor. Von nun an war jede Hoffnung, noch Überlebende zu finden, erloschen. Die Hilfe kam einfach zu spät.

Es mag noch nachvollziehbar sein, dass die russische Marineführung kein Nato-Rettungs-U-Boot mit seinen Scheinwerfern und Videokameras neben ihrem modernsten U-Boot-Typ herumtauchen haben wollte. Dass aber Taucher nicht schon viele früher eingesetzt wurden, ist ein Rätsel, das auch der Verweis der russischen Marineführung auf das anfänglich schlechte Wetter nicht löst.

Die Nordflotte verfüge zwar überhaupt nur noch über zwei Tieftaucher, und die hätten keine Ausrüstung, berichtete der inzwischen berühmt gewordene RTR- Reporter Arkadi Mamontow live aus der Barentssee. Aber offensichtlich gibt es in Russland genügend andere erfahrene Tiefseetaucher. Einige von ihnen haben sich der Marine vergeblich angeboten. Es war auch hier angeblich der Mangel an Taucheranzügen und einem geeigneten Mutterschiff, der ihr Angebot scheitern ließ.

Bereits am Dienstag vergangener Woche, nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der Katastrophe, hatte ein Vertreter der schwedischen Marine dem russischen Botschafter in Stockholm Hilfe angeboten: Schweden wollte das der britischen LR5 vergleichbare Rettungs-U-Boot URF und eine eingespielte Mannschaft mit Tiefseetauchern in die Barentssee schicken. Letztere standen seit Dienstagnachmittag mit ihrem Gerät auf einem Flugplatz bereit. Sie hätten schon am vergangenen Mittwoch vor Ort sein können.

Vielleicht hätten sie nicht mehr ausrichten können als ihre norwegischen Kollegen vier Tage später. Womöglich war es gekränkter Stolz, der die russische Flottenführung das schwedische Angebot ausschlagen ließ. Schweden hatte wie auch andere westliche Staaten aus Protest gegen den russischen Militäreinsatz in Tschetschenien die Beziehungen zur russischen Flotte eingefroren. Im Frühjahr hat das schwedische Verteidigungsministerium auf Druck der konservativen Oppositionspartei in letzter Minute eine gemeinsames Manöver der schwedischen und russischen Marine gestoppt. Geübt werden sollte eine Situation, die dem, was sich derzeit auf dem Grund der Barentssee abspielt, ähnelt: Ein russisches Atom-U-Boot sollte auf dem Meeresboden havariert sein, und man wollte den Einsatz der schwedischen Rettungsgeräte üben. Vielleicht hätte diese Übung die Hemmschwelle der russischen Marine gesenkt.

Norwegische Medien begannen am Montag darüber zu spekulieren, ob nicht als Erklärung für das lange Abwarten der russischen Flottenführung und für den abrupten Abbruch der Tauchaktion am Montag ein anderer Grund in Betracht kommen könnte. Dass nämlich die Militärs befürchten, es könne möglicherweise doch radiaktive Strahlung von der „Kursk“ ausgehen.

REINHARD WOLFF