Hat es die Schweiz wirklich besser?

„Die direkte Demokratie“ empfehlen heutzutage viele, so auch die Autoren um Gebhard Kirchgässner. Dabei ignorieren sie die Macht des Geldes

von PETER LÖSCHE

Ein Allheilmittel ist derzeit im Angebot, angeblich bestens geeignet gegen Partei-, Politiker- und selbst Politikverdrossenheit: die direkte Demokratie. Die Konservativen und die Liberalen, die Kommunal- und die Bundespolitiker führen sie im Munde. Die rot-grüne Bundesregierung wird im Herbst 2000 einen Gesetzentwurf für nationale Volksbegehren und Volksabstimmungen einbringen. Fast jedermann trällert das Hohelied des Plebiszits. So auch die Autoren um Gebhard Kirchgässner in ihrem Buch – und zwar auf hohem Niveau und voller Emphase.

Sie stellen die zentrale Frage, „ob die Qualität der politischen Entscheidungen in der Schweiz dadurch steigt, dass neben den Institutionen der repräsentativen Demokratie den Bürgerinnen und Bürgern zusätzliche Volksrechte zur Verfügung stehen ... oder ob diese Qualität dadurch ... verringert wird.“ Drei Kriterien werden zur Beurteilung entwickelt: „1. Führt die Existenz direkt demokratischer Elemente in der Verfassung dazu, dass sich Präferenzen der Individuen besser durchsetzen... 2. Kommt es dabei zu politischen Diskursen, die dazu führen, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Entscheidungen informiert ... treffen ... 3. Ermöglichen die einer Abstimmung vorausgehenden politischen Diskurse, dass längerfristige Orientierungen und Gesichtspunkte der Verallgemeinerbarkeit bei der Entscheidung berücksichtigt werden?“

Das Buch ist anregend, informativ, bedenkenswert, weil nicht nur von der Schweiz, sondern auch von den USA oder der Weimarer Republik und deren Lehren für die direkte Demokratie gesprochen wird – und dies alles vor dem vergleichenden Hintergrund der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik und deren direktdemokratischen Reformmöglichkeiten. Die Antwort der Autoren wird schon im Untertitel verraten: Direkte Demokratie ist für sie ein exportfähiges Schweizer Produkt. Sie sei politisch und ökonomisch effizient, die Bürger stimmten selbst für Steuererhöhungen, sie hinterzögen weniger Steuern als in der repräsentativen Demokratie. Referenden seien auch durch Interessengruppen nicht käuflich, politische Führung würde eben so gut oder eben so schlecht rekrutiert wie im Parlamentarismus – und selbst Initiativen, die mangels Unterstützung es nicht bis zur Volksabstimmung brächten, hätten noch Einfluss auf den repräsentativen Gesetzgeber. Fazit: Helvetia, du hast es besser.

Ob die Schweiz aber Modell für Europa ist, wie die Verfasser meinen, ist dann doch zweifelhaft. Wie zum Beispiel die Übertragung von Elementen direkter Demokratie aus einer politischen Kultur in eine andere geschehen soll, darauf wird nur am Rande eingegangen. Überhaupt: Es ist viel von Regelungen und Verfassungsfragen die Rede, auch werden Statistiken ins Feld geführt, allein die Verfassungswirklichkeit mit ihrer ganzen sozialen, ökonomischen, historischen, kulturellen und politischen Komplexität kommt etwas zu kurz. Was soll man von der Analogie halten, Volksabstimmungen seien wie Verhandlungen vor einem Geschworenengericht, indem das Volk den Geschworenen entspricht, die Komitees, die für oder gegen eine Initiative einträten, glichen Anklagen und Verteidigung? Da sind doch in der Realität ganz andere Faktoren als in einer Gerichtsverhandlung im Spiel, nämlich vor allem Interessen und Macht. Eben dies kann man von der direkten Demokratie in den Vereinigten Staaten bzw. in Kalifornien lernen, der im Buch ein ganzes Kapitel gewidmet ist. So ist von der Steuerrevolte die Rede, jener berühmten kalifornischen Proposition 13, die zur Senkung der Vermögenssteuer, auch der staatlichen Ausgaben führte. Dass diese aber auf Kosten des Schulsystems erfolgreich war und sozial von den Unterschichten bezahlt worden ist, darauf gehen die Verfasser nicht ein.

Überhaupt sind die Ausführungen über die USA Schwachpunkt der Abhandlung, sie werden viel zu sehr idealisiert. Da wird darüber geschwiegen, wie erfolgreich Intressengruppen mit Millionenbeträgen den Volkswillen manipulieren und wie inzwischen eine ganze Industrie von political consultants, von Werbefachleuten, Meinungsforschern und Unterschriftensammlern entstanden ist, die man für seine Dienste anheuern kann – immer vorausgesetzt, man hat genug Geld. Ein kürzlich erschienenes Buch von David S. Broder, dem großen alten Mannes im politischen Journalismus der USA, liest sich dazu nicht nur wie ein Kriminalroman, sondern muss die Idealisten direkter Demokratie ernüchtern. Tatsächlich spielt die Größe eines Landes, einer Gemeinde ebenso eine Rolle, wie die politische Kultur, in deren Tradition sie stehen. Dies sind Indikatoren dafür, ob direkte Demokratie funktioniert, ob sie nämlich etwa für den abstimmenden Wähler übersichtlich genug ist, so dass populistisch nicht Missbrauch betrieben werden kann.

So einfach ist das also nicht mit dem „Modell Schweiz“. Trotz aller Einwände: Wer sich mit direkter Demokratie befasst, sollte das Buch lesen – nicht zuletzt deswegen, weil man sich an den Thesen der Autoren so herrlich reiben kann.

Gebhard Kirchgässner, Lars P. Feld, Marcel R. Savioz: „Die direkte Demokratie. Modern, erfolgreich, entwicklungs- und exportfähig“. Verlag Franz Vahlen, 1999, 238 Seiten, 47 MarkDavid S. Broder: Democracy Derailed. Initiative Campaigns and the Power of Money, New York 2000, 48,22 Mark