„Zwangsarbeit in der Diakonie ist uns entgangen“

Historiker Kaiser soll Zwangsarbeit in Einrichtungen der evangelischen Kirche bundesweit aufklären. Pilotstudie: „Kein flächendeckender Einsatz“

BERLIN taz ■ Einen flächendeckenden Einsatz von Zwangsarbeitern in den Einrichtungen der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie hat es nach Ansicht von EKD-Ratspräsident Manfred Kock nicht gegeben. Dies ist das Ergebnis einer Pilotstudie des Hamburger Historikers Harald Jenner, die das Diakonische Werk gestern in Berlin vorstellte.

Genaue Zahlen könne die evangelische Kirche erst in einem Jahr nennen, sagte Kock. Bis dahin sollen die Ergebnisse eines bundesweiten Forschungsprojekts unter Leitung des Marburger Kirchenhistorikers Jochen-Christoph Kaiser vorliegen.

In seiner Pilotstudie hatte der Harald Jenner die Beschäftigung von Zwangsarbeitern im Bereich der heutigen Nordelbischen Kirche, also im Raum Schleswig-Holstein und Hamburg, erforscht. Jenner war bei seinen Recherchen auf rund 60 Fälle gestoßen – vor allem in der Landwirtschaft und der Pflege. Evangelische Kirche und Diakonisches Werk wollen aber nicht von einem „flächendeckenden“ Einsatz sprechen. Die bisherigen Hinweise ließen vielmehr vermuten, so Diakonie-Präsident Gohde, dass die Beschäftigung von Zwangsarbeitern „nicht die Regel“ war.

Dieses Fazit überrascht, liegen doch Belege bisher eben nicht vor. Es überrascht umso mehr, als die katholische Kirche erst in der vergangenen Woche eine „flächendeckende“ Beschäftigung von Zwangsarbeitern eingeräumt und von 30 bis 40 Fällen gesprochen hatte.

Selbstkritik übte der evangelische Kirchenhistoriker Kaiser in Sachen Aufklärungsarbeit: „Die Zwangsarbeit in der Diakonie ist uns in der Vergangenheit entgangen“, so Kaiser. Aufmerksam will die evangelische Kirche nun zumindest die Verteilung der von ihr in den Entschädigungsfonds eingezahlten zehn Millionen Mark begleiten. Die Zwangsarbeiter in Kirche und Diakonie gehörten der Gruppe der Landarbeiter an, so Diakonie-Präsident Gohde. Diese werden im Stiftungsgesetz nur indirekt berücksichtigt.

Das Diakonische Werk prüfe daher, wie der eigene Beitrag dieser Gruppe zukommen kann. Was diese Ankündigung konkret bedeutet, darüber schwiegen sich die Kirchenvertreter gestern jedoch aus. Die evangelische Kirche will jedenfalls direkten Kontakt zu ihren ehemaligen Zwangsarbeitern aufnehmen.

NICOLE MASCHLER