Revolutionäre Vagabunden

taz-Serie „Zwischenzeiten“, Teil 4: Vor zehn Jahren waren in der Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain zehn Häuser besetzt. Die Mainzer war unsere Straße, auch wenn wir nicht dort wohnten. Ein Hort des Widerstands. Für einen Sommer

von UWE RADA

Können Bilder täuschen? Bunt, so hieß es immer wieder, sei das Leben in der Mainzer Straße gewesen, und im Nachhinein sieht alles grau aus, schwarzweiß. Wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, in der es zwar noch keine Farben gab, dafür aber viel Utopie. Und Illusionen, schöne Illusionen.

Die Mainzer Straße war unsere Straße, auch wenn wir da nicht wohnten. In die Mainzer führten damals, vor zehn Jahren, alle Wege, vor allem in Friedrichshain, aber Friedrichshain war schließlich der Nabel der Welt. Selbst das Ex im Kreuzberger Mehringhof war aus den Augen geraten.

Unsere Straße dagegen war, wie es schon im antifaschistischen Romanklassiker von Uwe Petersen hieß, ein Hort des Widerstands, nicht nur gegen rechts, sondern die bürgerliche Scheiße überhaupt. Die einen zitierten dafür Herbert Marcuse, der davon sprach, dass man nicht über den Faschismus reden könne, ohne vom Kapitalismus zu sprechen. Die anderen ließen ihren Hunden freien Lauf.

Vor allem aber war Sommer. Wir saßen auf den Dächern, vor den Häusern, auf den Fenstersimsen. Wenn wir nicht saßen, bauten wir: Stromleitungen, provisorische Betten, Barrikaden. Manche wurden auch ideologisch und warfen den Betreibern des „Max-Hoelz-Antiquariats“ Sympathie für die Machokultur der 20er-Jahre vor. Hoelz war ein revolutionärer Vagabund. Nur, was waren wir anderes?

Aufgeregt hat uns diese Frage vor allem, wenn sie von außen gestellt wurde. Wortreich waren wir dann und um keine ernsthafte Miene verlegen. Erzählten vom Kapitalismus und seinen Fratzen, dem Bullenterror in Kreuzberg und der internationalen Solidarität.

Irritiert waren wir nur selten. Einmal kam Bernd, ein CB-Funker aus Königs Wusterhausen, in die Kneipe und schüttelte allen am Tresen die Hand, auch einigen Frauen. Die setzten gleich ihr grimmigstes Gesicht auf und machten Bernd an, wegen dieser Anmache mit dem Händeschütteln. Wem sollte man da ein paar Worte der Erklärung spenden, Bernd oder den Frauen?

Doch bald gab es andere Probleme. Der Herbst stand vor der Tür, mit ihm die Vereinigung, mit ihr die Bullen.

Täuschen die Bilder wirklich? Heute klebt Farbe an der Mainzer Straße, heute geht von uns dort keiner mehr hin, heute gibt es nicht einmal mehr uns.