Humangenetik: die Bio-Wendehälse

■ Vom umstrittenen Institut für Humangenetik zur „renommierten“ Einrichtung der Uni / Alles positiv, so Politiker und Wissenschaftler

Bremens Institut für Humangenetik feiert einen neuen Titel: „Referenz-Zentrum für zytogenetische Untersuchung“ von Tumoren der Lymphknoten. Als eins von sechs renommierten Zentren wurde jetzt auch Bremen ernannt.

Dabei ist es kaum zehn Jahre her, als Bremens Humangenetiker morgens noch manchmal auf eingeschmissene Scheiben stießen. Oder auf Farbbeutel, kleckerbunt an die frisch hochgezogenen Wänden des Instituts gedonnert. „Mindes-tens einmal in der Woche hätte man eine kontroverse Podiumsdiskussion in Bremen abhalten können: Was darf die Genetik“, meint Professor Jörg Bullerdieck heute.

„In der Rückschau wird einem fast schwindelig, wie rasant sich die Gentechnik entwi-ckelt hat“, bekennt der Biologe. Inzwischen packt die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Biotechnik ins Feuillton. Und auch die Grünen haben ihre frühere Technikfeindschaft fast vergessen. Die Förderung der „sanften Biotechnik“ steht heute ganz oben in ihrem Programm.

Im Jahr 2000 kräht in Bremen dagegen kaum ein Hahn mehr gegen das Institut für Humangenetik. Vorbei die Drohungen und die Schlagzeilen gegen den „Eingriff in die Schöpfung“, „Machbarkeitswahn“. Vielmehr: Stille Arbeit an den Ursachen von Brustkrebs, Tumoren der Lymphknoten und Schildrüse, um daraus Therapien abzuleiten. „Die Akzeptanz ist deutlich gestiegen“, findet Bullerdiek, der sich vor dem Studi-Zulauf kaum noch retten kann.

Damals, in den 80ern, tobte ein Kampf um das Institut. Nur mit knapper Mehrheit hatte der Senat der Uni der Gründung zugestimmt, erinnert sich Rektor Uwe Timm: Gentechnik und vor allem pränatale Diagnostik – das war eine „sensible und gesellschaftlich fragwürdige Geschichte“, die schwer mit dem Grundsatz der Uni „Gesellschaftliche Verantwortung“ zu vereinbaren schienen.

Heute könnte Timm jubeln über die „renommierte Einrichtung“, die sich in der Region längst etabliert hat. Über das „wahnsinnige Wachstum“ – an Forschungsmitteln, an Mitarbeitern, an Abschlüssen, an Zuspruch. Einzig wunder Punkt: Dem Institut geht es so gut, dass Mitarbeiter ab und an in die profitable Selbstständigkeit abspringen und im Lehrbetrieb derzeit noch zwei große Löcher reißen.

Der Stimmungsumschwung in den 20 Jahren zwischen Verdammung und Verheißung lässt sich allerdings schwer datieren. Für Helga Trüpel von den Grünen war das ein schleichender Zustimmungs-Prozess: Die Bedrohungsängste in der Bevölkerung hätten abgenommen, auch Tschernobyl sei lange her. Heute überwiegten Euphorie und Hoffnung angesichts solcher Zukunftstechnologien. „Der Druck, das positiv zu sehen, ist groß geworden.“ In Zeiten der Arbeitslosigkeit setzt man eben einiges auf die Biotechnik, die den einen oder anderen Job ins Land bringen könnte. Und in Zeiten unheilbarer Krankheiten, richtet sich die Hoffnung auch auf Bullerdieks Krebsforschung.

Deutlich wird das auch an den Studentenzahlen. Die Biologen unter ihnen zieht es dutzendfach in die Humangenetik – „weil die Mehrheit guckt, wo man später Geld verdienen kann“, weiß Mario Käse, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter und selbst Biologe. Gerüchteweise wird man in dieser Disziplin noch vor dem fertigen Doktor abgeworben und bekommt die Karriereleiter ins nächste Biotechnologie-Zentrum bereitet.

Was heute fehlt sind hingegen kritische Debatten, moniert Mario Käse. Davon hätte es vor zehn Jahren weit mehr gegeben. Seminare über „Chancen und Risiken der Gen-technik“ sind zwar immer noch Pflichtprogramm im Grund- und Hauptstudium. Aber die Kommilitonen seien „unpolitischer geworden, wollen weniger diskutieren, aber mehr experimentieren.“ Für die Professoren heißt das: Nicht nur lehren, sondern auch abbremsen. Als Studi wollte Bullerdiek selbst noch grenzenlos experimentieren, heute ist er derjenige, der zur Vorsicht mahnt, „doch noch mal darüber nachzudenken, was das für Folgen haben kann“.

Die Zukunft sieht Bullerdiek nicht mehr allzu rosig. „Es werden zwar auch positive Sachen kommen, aber auch vieles, was ich nicht gut finde“. Präimplantations-Diagnositk zum Beispiel. Im Übrigen Europa ist die Untersuchung der Embryonen auf bestimmte Erbfehler vor der Einpflanzung in die Gebärmutter zum Teil bereits erlaubt und in Deutschland wahrscheinlich nicht aufzuhalten. Die nächste Generation gehe viel direkter auf die Karrieren los. Auf ihren Monitoren verfolgen sie nicht nur das Human Genom Projekt, sondern auch die Börsenwerte der Bio-Tech-Aktien im online-Takt.

Zeitenwende: Genomprojekt. Das Knacken der fünf Millionen Basenpaare sei für die meisten ein „Meilenstein“, meint Käse. Ein Medien-Event auf dem sich inzwischen auch die Politik mitfeiert, kritisiert Helga Trüpel. Und meint Bill Clinton und Tony Blair, die sich strahlend zwischen den Wissenschaftlern feiern ließen.

In diesen Zeiten müsste die Politik eigentlich stärker die Geldvergabe an die Unis steuern, fordert SPD-Mann Käse. „Keine fundamentalistische Panikmache, keine Euphorie nachplappern“ wollen die Grünen. Angesichts solcher Themen breche bei vielen Nicht-Biologen die Orientierungsnot durch. „Fragen, auf die es keine fertigen Antworten gibt.“ pipe