Gewalt macht Spaß

Gewalttätige Jugendliche sind meist traumatisiert – und kaum heilbar. Milieuschäden lassen sich nicht rasch „reparieren“. Gefragt sind Bildungs- und Familienpolitik

Bei Gewalt in Gruppen erleben die Beteiligten Rausch- und Größengefühle, die über das Elend des Alltags hinweghelfen

Härtere Strafen, konsequente Anwendung der Gesetze und Sozialarbeit im Täterumfeld – gebetsmühlenartig werden die ewig gleichen Rezepte angesichts der täglichen Übergriffe rechter Gewalttäter gegen Ausländer, Juden, Homosexuelle oder einfach Andere wiederholt. Ähnlich klingen die in der fußballfreien Zeit verhallten Aufrufe zum Umgang mit Hooligans nach. Ratlosigkeit von Politik und Gesellschaft herrscht auch seit Jahren in der Debatte über jugendliche Gewaltstraftäter. Zwar sinkt insgesamt die Gewaltkriminalität. Doch innerhalb der Risikogruppen steigen die Gewaltdelikte stark an. So unterschiedlichen Gruppen wie Hooligans, rechten Gewalttätern oder Mitgliedern von Streetgangs ist gemeinsam, dass die Taten in völliger Übereinstimmung mit Gewissen und inneren Werten erfolgen. Gewalt macht Spaß, reguliert Gruppenkohärenz und Selbstwertgefühl und hat Eventcharakter. Infolgedessen sinken die Chancen, die Täter durch Streetwork, Sozialarbeit oder Resozialisierungsmaßnahmen zu erreichen. Die alten Rezepte taugen nicht, wenn Einsicht, Reue und Leiden unter dem eigenen Fehlverhalten vorausgesetzt werden.

Zudem zeigen auch herkömmliche chronische Gewalttäter meist wenig Einsicht oder Bereitschaft, sich auf differenzierte Behandlungs- und Resozialisierungsmaßnahmen einzulassen. Doch eine Debatte über möglicherweise nicht heilbare Gewaltstraftäter ist in der Bundesrepublik schwer zu führen. Das Trauma des Nationalsozialismus verhindert eine sachliche Erörterung der Frage, was mit chronischen Gewaltstraftätern zu geschehen habe und vor allem, wie Gewohnheitstäter unter humanen Bedingungen eventuell lebenslänglich unterzubringen sind. Wer solche Fragen aufwirft, gerät allzu leicht in den Verdacht, der Kopf-ab-Schwanz-ab-Fraktion Rechtskonservativer das Wort zu reden und die große Strafrechtsreform zurückdrehen zu wollen.

Zur Erinnerung: Die große Strafrechtsreform von 1973 schaffte die Strafbarkeit von Homosexualität, Gotteslästerung und Ehebruch ab, führte ein liberales Recht zum Schwangerschaftsabbruch ein und reformierte das Demonstrationsrecht. Das seit 1871 geltende Prinzip von Schuld und Sühne wurde um den Gedanken der Resozialisierung ergänzt. Auch schwere Gewaltstraftäter sollten sozial- oder psychotherapeutisch von Milieuschäden so weit geheilt werden, dass sie weitgehend straffrei leben könnten. Fast dreißig Jahre später findet die These des Milieuschadens immer mehr wissenschaftliche Unterstützung. Doch die Hoffnung, Täter mit schwerer Persönlichkeitsstörung dauerhaft zu verändern, hat sich nicht bestätigt.

Die Idee, eine bessere und weniger von Kriminalität geprägte Gesellschaft zu schaffen, gründete auf der Vorstellung, dass Gewalt und Straftaten aus traumatisierenden Entwicklungsbedingungen erwachsen. Durch Nachreifung, korrigierende Erfahrungen und Verbesserung von Berufsausbildung und sozialen Kompetenzen wollte man die Schädigungen aus Kindheit und Jugend rückgängig machen. Tatsächlich bestätigen jetzt Erkenntnisse von Neuropsychologie und biologischer Psychiatrie, dass massive traumatisierende Erfahrungen zu dauerhaften biologischen Gehirnveränderungen führen. Diese nachweisbaren hirnorganischen Niederschläge von Milieuschäden sind aber umso weniger reversibel, je früher und chronischer die Traumatisierungen die Entwicklung beeinflussten. Die Folgen sozialpolitisch bedingter Milieuschäden sind also viel verheerender als bisher angenommen.

Zwar können psychisch kranke Straftäter in der Bundesrepublik statt zum normalen Strafvollzug zum Maßregelvollzug verurteilt werden. Doch wer krank ist und wer nicht, wer in Justizvollzugsanstalten einsitzt oder in einer forensischen Psychiatrie behandelt wird, ist weitgehend den Launen und Befindlichkeiten von Gutachtern und Gerichten überlassen. Erfolgte die Straftat nicht gerade unter dem Einfluss einer Psychose – also einer meist mit Wahn, Halluzinationen und imperativen Stimmen einhergehenden Erkrankung –, sondern unter einer Persönlichkeitsstörung, hängt das Urteil eher vom Gustus des Gerichts ab. Denn unter einer so genannten Borderline-Störung oder vergleichbaren schweren Persönlichkeitsstörungen leiden nahezu alle schweren Gewaltstraftäter: Heftige Impulsdurchbrüche, fehlende Angst angesichts von Gewalt, Mangel an Schuld oder Schamgefühlen, Gut-Böse-Raster und die Unfähigkeit, sich selbst kritisch zu betrachten, kennzeichnen den Gewalt-Delinquenten einer Justizvollzugsanstalt ebenso wie jenen, der gerichtlich in der Psychiatrie untergebracht ist. An Einsicht oder gar intensiver Beschäftigung mit Tat und Opfer mangelt es beiden Gruppen.

Es handelt sich um eine romantisierende Vorstellung, Gewalttäter litten unter ihrer Aggressivität oder würden lieber ohne sie leben. Gewaltausübung findet weitgehend in Übereinstimmung mit Gewissen und inneren Werthaltungen statt. Sie dient der Regulation des Selbst und des Selbstwertgefühls. Innere Leere, psychische Spannungen, innere wie äußere Konflikte werden durch die Ausübung von Gewalt reguliert. Geschieht dies in Gruppen, erleben die Beteiligten meist Rausch- und Größengefühle, die über Elend und Tristesse des Alltags hinweghelfen.

Häufig übersehen wird zudem, dass sich Gewalttäter vorab in eine gewaltfördernde Stimmung bringen (oder trinken) und nicht selten ihre Taten minutiös planen: Bereits Tage vor manchen Europameisterschaftsspielen in Belgien verabredeten verfeindete Hools gezielt Treffpunkte und Kampfplätze und tauschten Beschimpfungen aus.

Es ist eine romantische Vorstellung, Gewalttäter litten unter ihrer Aggressivität und würden lieber ohne sie leben

Die Idee des Strafrechts, zwischen schuldfähigen oder nur bedingt schuldfähigen Tätergruppen zu unterscheiden, gerät in unauflösbare Widersprüche. Zwar liegen in aller Regel schwere Persönlichkeitsstörungen vor, die die Taten zumindest mit bedingen. Doch fehlt es den Tätern weder an der Einsicht, dass ihr Tun gesetzeswidrig ist, noch an Möglichkeiten, dieser Einsicht zu folgen. Umgekehrt wäre es jedoch ebenso verfehlt, hieraus den Schluss zu ziehen, zum alten Sühne-Prinzip zurückzukehren und alle sozialtherapeutischen oder sozialpolitischen Einflussnahmen aufzugeben.

Vielmehr müssen wir ein Vierteljahrhundert nach der Großen Strafrechtsreform erkennen, dass verelendende Kindheitsbedingungen und schwere Milieuschäden nicht oder nur noch geringfügig korrigierbar sind. Die politische Lehre lautet, dass sich der Mensch für einfache Reparaturmaßnahmen nach gescheiterten arbeits-, wohn- und familienpolitischen Entscheidungen nicht eignet. Psychosoziale Traumatisierungen sind in ihren Folgen viel gravierender als bisher angenommen. End-of-pipe-Lösungen greifen nur noch wenig. Wer Randgruppenbildung und der bildungs- und familienpolitischen Ausgrenzung weiter Bevölkerungsteile nicht durch konsequente Politik entgegenwirkt, nimmt die Gewaltzunahme als alltägliches Phänomen billigend in Kauf. MICHA HILGERS