„Ich habe mich verschätzt“

Interview SVEN HANSEN

taz: Wie wurden Sie am 2. Juli entführt?

Andreas Lorenz: Ein Mann nahm zu mir Kontakt auf, den ich im Hof des Gouverneurs von Jolo getroffen hatte. Der Mann war in Begleitung eines offiziellen Unterhändlers, der für die Befreiung der 21 Sipadan-Geiseln zuständig war. Der Mann sagte mir, die Abu Sayyaf wollten Renate Wallert freilassen, trauten aber den offiziellen Verhandlern nicht mehr und suchten einen Weg, um deutsche Behörden zu kontaktieren. Der Mann zeigte mir später noch einen Brief von Commander „Robot“, also einem der fünf Abu-Sayyaf-Anführer. Der Mann garantierte mir volle Sicherheit, wenn ich ins Lager käme. Doch das habe ich abgelehnt. Es war dann von einem Tonband die Rede von Renate Wallert und „Robot“. Es sollte in einem Haus in Jolo übergeben werden von einem Abu-Sayyaf-Vertreter. Wir sind dann losgefahren, zwei Männer sind plötzlich auf den Wagen aufgesprungen und da war es klar, dass es eine Entführung ist. Das war noch innerhalb der Stadt.

Wer waren Ihre Entführer?

Es waren anfangs zwei junge Männer, von denen sich einer als Leiter der Gruppe herausstellte, Commander „Daga“, ein gut gekleideter Mann etwa Ende zwanzig. Die Leute, die dazusprangen, und die, die dann auch später beim Handgemenge dazukamen, als ich gezwungen wurde, den Wagen zu verlassen, waren alles junge Männer mit Pistolen. Als sie mich in den Dschungel zerrten, kamen noch mehr hinzu, die waren maskiert und hatten Gewehre. Zwischen sechs und acht Mann haben mich dann ständig bewacht.

Hatten Ihre Entführer Kontakt zu denen der anderen?

Zuerst dachte ich, es sei Abu Sayyaf. Aber es war eine Splittergruppe. Die Entführer waren früher alle Mitglieder von Abu Sayyaf, sie waren auch im Lager der anderen ursprünglich 21 Geiseln. Der Grund für die Spaltung war ein Streit innerhalb der Gruppe um die Verteilung des Lösegeldes für die erste freigelassene malaysische Geisel.

Wie wurden Sie behandelt?

Bis auf eine Schlägerei bei der Entführung, als ich zu fliehen versuchte, haben sie mich nicht körperlich misshandelt. Vorher haben sie mich allerdings ausgeraubt, Uhr, Taschenmesser und alle Habseligkeit bis auf meine Hose und Schuhe. Zum Schluss klauten Sie mir noch die Brille. Im Alltag waren sie sogar manchmal höflich. Nur zwei sprachen leidlich Englisch. Es gab eine kritische Situation, als sie mir drohten, beide Hände abzuschlagen, sollten die Verhandlungen über meine Freilassung nicht beschleunigt werden.

Haben Sie an Flucht gedacht?

Ja, ständig. Ich habe zuerst versucht rauszufinden, wo ich da bin, wie weit ich von der Stadt entfernt bin und welche Chancen ich da habe. In der ersten Woche musste ich mit ihnen an einem Platz schlafen, da waren sie immer nur einen Meter von mir entfernt und auch nervöser, haben mich nachts ständig mit ihren Taschenlampen angeleuchtet. Später wurde die Bewachung lockerer, manche hatten ihr M-16 oder ihre Pistole immer in der Hand, wenn sie sich mir näherten. Andere ließen ihre Gewehre liegen. In einem Hollywoodfilm hätte sich der Held vielleicht befreien können, indem er versucht, eine Waffe unter Kontrolle zu bekommen. Ich bin recht schnell zur Überzeugung gekommen, dass Flucht ziemlich chancenlos ist.

Was haben Sie von den Verhandlungen mitbekommen?

Ich konnte immer nur aus dem, was geschah, schließen, wie weit sie sind. Ich musste dann in den entscheidenden Phasen Briefe schreiben an den libyschen Botschafter in Manila, Salim Addam. Oder Tonbandnachrichten sprechen. Die kamen zum Teil auch mit einem Fotoapparat ins Lager, um mich zu fotografieren, und daraus konnte ich schließen, dass Bemühungen um meine Freilassung stattfinden. In einer Phase bekam ich einen Brief mit sehr persönlichen Fragen zugeschickt, die nur ich beantworten konnte, um zu testen, ob ich noch am Leben bin. Aber was im Einzelnen vor sich ging, war mir nicht klar.

Hatten Sie Kontakt zu anderen Geiseln?

Von den anderen habe ich nichts mitbekommen, außer durch meine Entführer, die mir von der Freilassung Renate Wallerts berichteten. Sie haben mir aber auch berichtet, was sich zum Glück als falsch herausgestellt hat, dass man Werner Wallert einen Finger abgeschlagen hätte, um der Sache Nachdruck zu verleihen. Später gab es ein Radio. Da bekamen wir dann mit, dass auch französische und zwei philippinische Kollegen als Geiseln genommen wurden. Zweimal wurde mir eine Zeitung mitgebracht und sie ließen Zeitungen und Bücher durch, die mir meine Frau und meine Kollegen geschickt hatten.

Wie sah Ihr Alltag als Geisel aus?

Der Tag fing morgens vor Sonnenaufgang an. Die Wachen beteten zum Teil, dann gab es Frühstück, zum Glück hatte ich nach einer Woche von meiner Frau und den Kollegen Papier, Schreiber und Bücher erhalten, so dass ich Notizen machen und lesen konnte. Der Tag war früh zu Ende, als im Talkessel gegen fünf Uhr dreißig die Sonne unterging. Danach kamen die Boten und infomierten meine Wachen über die Verhandlungen, es gab Lebensmittel und es wurde debattiert. Das war immer eine kritische Zeit, in der ich versuchte, die Stimmung der Entführer herauszufinden, die aber nur in der Inselsprache Tausug redeten.

Was empfanden Sie in der Gefangenschaft als am belastendsten?

Die Ungewissheit. Ich wusste, dass die Situation sich innerhalb der Gruppe möglicherweise ändert, wenn sie mit den Verhandlungen nicht zufrieden gewesen wären. Das kam ja auch in einer Phase mit der Drohung, mir die Hand abzuschlagen. Die waren zum Teil nervös, weil sie selbst fürchteten, das Camp könne angegriffen werden. Eine andere Belastung waren für mich die Schuldgefühle gegenüber meiner Frau und der Nervosität, die sie ertragen musste.

Warum wurden Sie Ihrer Meinung nach entführt?

Meine erste Spekulation war, die wollen einem westlichen Journalisten eine Lektion erteilen. Die zweite Möglichkeit war, die wollen mich umbringen, um die Verhandlungen über die aus Sipadan entführten Geiseln zu beschleunigen. Das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet. Es ging ihnen um Geld. Sie fürchteten einen Militärschlag nach der Freilassung aller Geiseln, dazu wollten sie sich bewaffnen und ich war die Gelegenheit, zu Geld zu kommen.

Bundesaußenminister Fischer hat Ihre Entführung mit den Worten kommentiert, das mache die Situation nicht einfacher. Stimmen Sie dem zu?

Sicherlich wurde die Gesamtsituation dadurch nicht einfacher. Aber ich glaube nicht, dass mein Fall die Verhandlungen über die anderen Geiseln erschwert hätte.

Es heißt, Abu-Sayyaf hätte von dem Lösegeld, das in den anderen Fällen gezahlt wurde, Waffen gekauft und Kämpfer rekrutiert.

Ich habe das vor meiner Entführung mitbekommen, als Einheimische erzählten, dass die Preise für Waffen und Munition gestiegen seien. Meine Entführer haben mir das auch berichtet. Die Nachfrage nach Waffen ist in den letzten Wochen sicher gestiegen.

Sie waren Anfang Juni zusammen mit Kollegen von den Abu Sayyaf beim Besuch des Geiselcamps für Stunden festgehalten worden und kamen nur gegen 25.000 Dollar Lösegeld frei. Wie haben Sie das empfunden?

Das war eine völlig andere Situation. Wir waren mit einem Regierungstross hochgefahren, um ins Geisellager zukommen und zu schauen, wie es denen geht. Damals hatten die Regierungsleute auch zugestimmt, zumindest wussten sie es. Als es dann vor Ort schon im Abu-Sayyaf-Gebiet in der Nähe des Camps mit den Entführern Streit um die Bezahlung des Besuchs im Geisellager gab, wurden wir dort festgesetzt. Diese Entführung erreichte nie einen offiziellen Status. Wir haben versucht, diese 25.000 Dollar für zehn Personen insgesamt selbst aufzutreiben, weil wir wussten, wenn die Aktion amtlich wird, könnte die ganze Sache erschwert werden.

Danach sagten Sie: „Niemand sollte mehr dorthin gehen . . .“

Damit meinte ich, nicht mehr ins Geisellager zu gehen, ich meinte damit nicht, nicht mehr nach Jolo zu gehen. Im Geisellager war das Risiko, in eine Falle gelockt zu werden, zu hoch. Als ich beim zweiten Mal in Jolo war, haben philippinische und zum Teil ausländische Kollegen sich immer noch mit Führern der Abu-Sayyaf-Gruppe getroffen.

Standen Sie bei Ihrer Tätigkeit unter Druck der Redaktion, möglichst nahe an die Geiseln ranzukommen?

Nein, wirklich nicht. Die Redaktion hat mich nie unter Druck gesetzt. Die wollten eine durchgehende Berichterstattung. Die Entscheidung nach Jolo zu gehen war meine eigene.

Warum sind Sie nach Jolo-Stadt gegangen?

Ich hielt die Stadt für sicher und bin nach wie vor der Meinung, dass man versuchen sollte, so nah wie möglich am Geschehen dran zu sein.

Aber Sie sind doch innerhalb der Stadt entführt worden?

Ja,, da habe ich mich in der Beurteilung des Risikos verschätzt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass meine Kontaktleute auch meine Entführer sind.

Wie sollte künftig über Jolo berichtet werden?

Auf alle Fälle sollte weiter berichtet werden. Journalisten sollten nach wie vor nach Jolo-Stadt hingehen, aber sich auf keinen Fall in die Nähe dieser Leute begeben. Wir müssen da sein, sonst besteht die Gefahr, dass die Geiseln, die in einer furchtbaren Situation sind, in Vergessenheit geraten. Journalisten müssen über die Lage vor Ort, die Atmosphäre, den politischen Hintergrund und den aktuellen Stand berichten.

Werden Sie nach Jolo zurückkehren?

Nein. Einer meiner Entführer hat mich dasselbe gefragt. Im Scherz habe ich gesagt, ich werde nur wiederkommen, wenn ihr eine islamischen Staat habt und mich in Frieden lasst.

Welchen Ausgang des Geiseldramas erwarten Sie?

Ich hoffe, dass die da möglichst schnell rauskommen, ich habe das nun selbst gespürt, in welche seelische Verfassung man in einer solchen Situation reinkommen kann. Ich fürchte, dass die Abu Sayyaf nicht alle Geiseln auf einmal freilassen werden, die werden das peu à peu machen, um sich selbst abzusichern und zu verhindern, dass die Armee eingreift, womit sie fest rechnen, und um sich weiter stärker bewaffnen und um sich Fluchtwege offen halten zu können.

Wenn die Geiseln eines Tages frei sein sollten, wie sollte die philippinische Regierung sich gegenüber den Entführern verhalten?

Regierung und Militär wollen sie militärisch besiegen. Das ist der im Grundansatz falsche Weg. Das Problem ist nur dadurch zu lösen, dass man die Entführer strafrechtlich verfolgt und versucht sie ins Gefängnis zu bringen. Die Filipinos sind nach meiner Einschätzung aber nicht auf diesem Trip. Die werden erst dann zufrieden sein, wenn die Abu-Sayyaf-Gruppe und meine Entführer tot im Dschungel liegen.

Haben Sie oder der Spiegel rechtliche Schritte eingeleitet?

Das haben wir nicht, weil von den Filipinos auch niemand danach gefragt hat. Es gibt die vorherrschende Meinung, dass das auch gar keinen Sinn hat, weil auf Jolo auch gar keine Gerichtsbarkeit existiert. Es gibt dort gar keinen Richter, der irgendjemanden, irgendwann, irgendwie mal verurteilen würde. Auch in den letzten Jahren – das Phänomen der Entführungen ist ja nicht ganz neu – ist noch nie ein Entführer irgendwie strafrechtlich verfolgt, geschweige denn verurteilt worden. Die deutschen Behörden werden automatisch ein Verfahren wegen Menschenraub einleiten.

In den Philippinen sind viele Rebellen amnestiert worden, weil man sich davon eine Befriedung erhofft, so ist ein ehemaliger Putschführer heute Senator und ein Ex-Führer des kommunistischen Untergrundes Minister. Was halten Sie von diesem Vorgehen?

Präsident Estrada scheint momentan eine harte Linie zu fahren, in dem er versucht, die muslimische MILF-Guerilla militärisch zu schlagen. Die MNLF-Guerilla hat sein Vorgänger Ramos in die Armee und Regierung integriert. Auf Jolo selbst besteht das philippinische Militär weitgehend aus früheren MNLF-Kämpfern. Das scheint mir mir ein erfolgreicher Weg zu sein. Soweit ich mit denen geredet habe, sehen sie zwar die Politik der Regierung gegenüber der muslimischen Minderheit kritisch, aber sie sind absolut empört über die Abu Sayyaf.

Ihre Entführer könnten also vielleicht im Sinne einer Integrationsstrategie eines Tages in Jolo offizielle Funktionen haben?

Wenn die philippinische Regierung eine Integrationspolitik macht – wobei nicht klar ist, ob sie nur bis zur MILF reicht und Abu Sayyaf außen vor bleibt. Abu Sayyaf Leute könnten natürlich auch dann offizielle Positionen erhalten, wenn sie eines Tages ihren islamischen Staat erreichen sollten.

Bestehen Sie auf Strafverfolgung?

Auf alle Fälle. Ich will, dass wer mich festgehalten hat, wer mir die Freiheit geraubt hat, wer mir gedroht hat, mir die Hände abzuschlagen, dass die ins Gefängnis kommen. Das ganze Problem in den Südphilippinen kann nur durch Gerechtigkeit und rechtsstaatliche Methoden gelöst werden. Das sind momentan in Jolo Fremdwörter.

Der Spiegel sieht sich als Hochburg des Enthüllungsjournalismus, macht aber zu der Frage, wie viel Lösegeld ob in Ihrem Fall gezahlt wurde, keine Angaben. Ist das nicht widersprüchlich, wenn ausgerechnet die eigene Geschichte unvollständig bleibt?

Es ist kein Widerspruch. Es wäre naiv, zu denken, dass meine Entführer mich aus reiner Menschenfreundlichkeit freigelassen haben. Es ist aber richtig, über die Konditionen nicht zu sprechen. Wenn man darüber sprechen würde, wäre das für die übrigen Geiseln nicht vorteilhaft sein und würde womöglich auch die Preise verderben.

Zitate:

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