der personalruss von KATHRIN PASSIG
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Den Kilometer zwischen Dorf und Pfarrfest legen in meiner alten Heimat nur Kinder und entfremdete Großstädter zu Fuß zurück. Meine Eltern denken gar nicht daran, mit weniger als zwei Autos vorzufahren, schließlich tragen sie Verantwortung in Form der Getränkekasse. Zu Fuß unterwegs ist außer mir nur eine Horde Elfjähriger, die begeistert „Samenguss! Cool! Samenguss!“ rufen. Später findet sich noch das aufgeblasene Kondom und dann die Verpackung.

Bei der Eröffnung darf ich neben dem Pfarrer und seiner Haushälterin sitzen. Der Pfarrer berichtet, er habe seinerzeit zur schwangeren Frau Nothaft, Mutter vierer Töchter, gesagt: Diesmal wird es ein Sohn, und heißen wird er Josef. Die Frau Nothaft habe erwidert, das könnte schon sein, dass es ein Sohn wird, aber heißen würde er Johannes. So kam es dann auch. Ich wende ein, dass Maria ja auch nicht zum Heiligen Geist gesagt hätte, das könnte schon sein, dass sie einen Sohn gebären sollte, aber heißen würde er auf keinen Fall Jesus, sondern Kevin. Zum Glück versteht mich der Pfarrer nicht, weil die Musik so laut spielt.

Meine Eltern verwalten die Getränkekasse und bestimmen, wann „Personalrussen“ ausgegeben werden. Ein Russ ist ein Weißbier mit Limo, ein Neger ein Weißbier mit Cola. Das bekomme ich von meiner Mutter auf die Frage: „Sag amal, is eigentlich a Russ des Gleiche wie a Neger?“ erklärt. Theoretisch gibt es also auch Personalneger, aber danach habe ich noch niemanden verlangen hören.

Das Hunderennen ist wie jedes Jahr eine hochdramatische Angelegenheit, auch wenn der Pfarrer mir wie jedes Jahr meinen Wunsch nach einem Totalisator und dicken Wettgewinnen abschlägt. Beim zweiten Rennen kommt es zu einer Rauferei. Die Besitzer stürmen hinzu, und einer packt den gegnerischen Hund am Schwanz und schmeißt ihn zwei Meter durch die Luft. Das macht weder dem Hund noch seinen Besitzern etwas aus. „Das ist ein Husky“, sagt mein Vater mit Kennermiene, „die mögen das nicht anders.“ Das Rennen muss wiederholt werden, aber nicht wegen der Rauferei, sondern wegen unseres Nachbarhundes Charly. Charly nämlich ist versehentlich nicht aufgerufen worden, und die Frau Schneider nimmt so was nicht auf die leichte Schulter. Nach dem Rennen sagt sie uns lückenlos Charlys Hunderennvergangenheit her, und oft ist ihr bitteres Unrecht widerfahren, das sie keinesfalls wegen eines lächerlichen Pokals zu vergessen bereit ist. Der Metzgerhund bekommt bei der Wiederholung dann doch noch die Gelegenheit, das zu tun, was er jedes Jahr tut, nämlich nicht ins Ziel zu gehen, sondern ganz woandershin. Charly wird nur Vierter. Ich würde nicht auf Charly setzen; Charly hat in den letzten Jahren nur ein einziges Mal gewonnen, und da wurde das Rennen für ungültig erklärt. Der Hund meines Vertrauens ist der Tannerbauer-Hund, der Metzgerhund. Er sieht von allen Seiten aus wie eine Bürste. Leider geht er eben meistens nicht ins Ziel. Bei Pferderennen steht dann „n. a.“ für „nicht angekommen“ in der Rennzeitung. Vielleicht ist es ganz gut, dass man beim Pfarrfest nicht wetten darf.