Genuin progressiv

■ Jimmy Cliff als Rächer der Versklavten im Reggae-Musical The Harder They Come

Zu seiner Beerdigung kamen die schönsten Frauen der Stadt, und sie trugen rote Kleider, erzählt man sich. Irgendwann hatte er einen Mann beim Spiel erschossen. Seitdem ist er auf der Flucht, und Gnade dem, der es mit ihm aufnähme. Wenn er schuldig ist, dann tat das der Bewunderung kaum Abbruch. Und in einem tieferen Sinn ist er doch unschuldig wie ein Engel, der gekommen ist, um Rache zu nehmen für all die Demütigungen, die ihm und all jenen toten Geschlechtern, die vor ihm auf den Plantagen schufteten, angetan wurden. Unzählige Male ist er dafür von weißen Bullen gehängt worden, und unzählige Male ist er auch immer irgendwie lebendig davongekommen. Genauso oft ist die Geschichte dieses Tricksters erzählt worden: im Blues, im R'n'B, in den barber-shops des Südens, an den Straßenecken Harlems und im Kino.

Es ist die Geschichte von “Staggerlee“, die wie kaum eine andere die Fantasie der afroamerikanischen Folklore beflügelt hat. Im Kino erzählte sie Melvin Van Peebles in seinem Sweet Sweetbacks Badassss Song, der nicht nur, kommerziell gesehen, den Blaxploitation-Zyklus initierte und den Weg wies, sondern auch von den Black Panthers zur Schulung eingesetzt wurde. Perry Henzell erzählte sie 1971 einmal mehr in The Harder They Come, dem ersten Reggae-Musical der Kinogeschichte, und schuf dabei ganz sicher eine der schönsten Versionen des längst zum Mythos gewordenen Archetypen des schwarzen Robin Hood.

Lose angelehnt an die Lebensgeschichte des jamaikanischen Gangsters Rhygins, der Kingston in den 40er Jahren unsicher machte, kommt Glücksritter Ivan (gespielt vom Reggae-Sänger Jimmy Cliff) aus den Bergen in die Slums der großen Stadt, um gleich erst einmal ausgeraubt zu werden. Arbeit zu finden ist schwer, und auch der arrogante Plattenboss, für den er einen Song aufnimmt, prellt ihn um seine Tantiemen. Als er feststellen muss, dass das Marihuana, das er für zwei Dollar verkauft, den Drogenbaronen in den USA das Hundertfache einbringt, führt er eine Revolte der Kleindealer an und hat bald die Reichen und Mächtigen der ganzen Insel gegen sich, ganz egal auf welcher Seite des Gesetzes sie stehen. Fünf der verhassten Polizisten tötet er auf seiner Flucht. Mit den Toten wächst sein Ruhm; selbst sein Song, „The Harder They Come“, wird, trotz Boykott, zum Hit und zur Volkshymne zugleich.

Auf dem Höhepunkt seiner Reise ans Ende der Macht verschickt er in bester Bonnie and Clyde-Manier glamouröse Fotoaufnahmen von sich an alle Zeitungen und verteilt Autogramme wie einst Rhygin. “I'd rather be a dead man in my grave, than live like puppet or a slave“, singt Cliff alias Ivan, und so aufrecht stirbt er denn auch in einem shoot-out, der verdeutlicht, warum Spaghetti-Western Reggae-Geschichte geschrieben haben.

In vielem erinnert das an Godards Außer Atem, als dessen postkoloniale Low-Budget-Version Perry Henzells Film gelegentlich auftritt. Die Kritiker der marxistischen Filmzeitschrift Jump Cut lobten den semidokumentarisch und mit Laien gedrehten Film seinerzeit für seine „genuin progressive“ Analyse, die individuelle Befreiung und ökonomische Zwänge über Genrestandards hinaus selten präzise engführt. In Jamaika wurde der Film dafür verboten. Seinen Erfolg hat das eher beflügelt. In den USA ist er einer der Kultfilme mit der längsten Kinolaufzeit. Und das, obwohl er als erster englischsprachiger Film mit englischen Untertiteln gezeigt werden musste.

Tobias Nagl

The Harder They Come: 27.7. – 2.8., 23.15, 3001