Blauhaarige Freaks und aparte Damen

■ Jan Freys Zeitschrift „Klein Mexiko“ hat sich der Bremer Drogenszene gewidmet

Jan Frey war wieder unterwegs, hat recherchiert, Interviews geführt, fotografiert und notiert, was er auf seinen Streifzügen durch Gröpelingen und das Viertel erlebt hat. Über ein halbes Jahr hat Frey so zugebracht. Dann war „Klein Mexiko“ fertig.

„Klein Mexiko“ ist die Zeitung für den „Alltag in der Vorstadt“, wie es im Untertitel heißt. Benannt nach jener Reihenhaussiedlung am Hulsberg, in der Frey wohnt und die in den 1920er Jahren wegen der für bürgerliche Verhältnisse befremdlichen Mischung aus armen Großfamilien und KommunistInnen den Spottnamen „Klein Mexiko“ trug, widmet sich Freys Zeitschrift der Dokumentation des fordergründig Banalen. Gemüsehändler und Hauspflegerinnen, Sozialhilfeempfänger und Arbeiterkämpfer begleitete er in den beiden ersten Nummern durch den Tag und notierte, was seine InterviewpartnerInnen mit Blick auf ihr Leben für notierenswert hielten.

Die jüngste Ausgabe Nummer drei widmet sich ausschließlich Bremens Drogenszene. In geradezu uferlosen Interviews erzählen Sozialarbeiter aus Gröpelingens Grünzug West von ihrem Arbeitsalltag, berichten Anwohner seitenlang von der zermürbenden, permanenten Konfrontation mit dem menschlichen Elend, erläutern Streifenbeamte, dass sie die Arbeitslosen von heute morgen als Junkies im Grünzug wiedersehen. Einen geradezu kafkaesken Januartag am Sielwalleck hat Frey in Form eines Tagebuchs protokolliert. Blauhaarige Freaks treffen auf aparte Damen, türkische Krüppel auf „balkanisch aussehende Milchbärte“, frustrierte Ladenbesitzer auf routinierte Bullen, die kommen und gehen wie die Dealer in den Seitenstraßen. Zwischendrin hockt der Chronist Frey und notiert: „Ich bin etwas gerührt“, als er den Glanz in den Augen eines Junkies erblickt, der von einer Bekannten auf die Wange geküsst wird. Der Sielwall-Tabakladenbesitzer Thomas Dehmer berichtet derweil frustriert von bis zu zehn Prügeleien in der Woche vor seinem Schaufenster. Und er wünscht sich, auf dem Bürgersteig vor seinem Laden möge anstelle des Anblicks von Junkies, die ihre Hunde masturbieren, doch endlich die heile Welt einkehren.

Freys journalistische Methode ist voller Redundanzen, provokativer Längen, dargeboten im Bleiwüstenlayout und beseelt vom fast schon naiven Glauben, die Welt würde eine bessere, wenn nur jeder Betroffene angemessen gehört würde. Eine solche Haltung ist mit altmodisch noch nett umschrieben und so marktkonform wie Sonnencreme im Bremer Sommer. Doch gerade deshalb muss man „Klein Mexiko“ loben, was das Zeug hält. Denn allein dieser Form von zeitintensivem, textlastigem, schwer zu konsumierendem und sich um redaktionelle Vorgaben einen Dreck scherenden Journalismus ist es zu verdanken, dass niemand dem Irrglauben verfällt, die Welt sei tatsächlich so einfach zu verstehen, wie der tägliche Häppchenjournalismus es uns vorgaukelt. zott

„Neu Mexiko“ ist für fünf Mark zu beziehen in Buch- und Tabakläden im Viertel, Peterswerder und Hulsberg und bei Jan Frey: Tel.: 44 02 48