Ballymuns statt Ballermänner

Mallorca ist groß, und nicht nur die Deutschen haben sich auf der spanischen Urlaubsinsel eingerichtet. Santa Ponza im Süden ist ganz in der Hand der Iren, die bei Inselduellen literweise Bierstiefel und Sangriaeimer stemmen und leeren. Die schönste Erinnerung bleibt die Medaille fürs Kampftrinken

Lifestyle-Produkt Urlaub. In unserer Sommerserie stellen taz-Korrespondenten grenzübergreifend Reisestile vor. Denn zwischen Wanne-Eickel und Buenos Airesändern sich nicht nur Destinationen, sondern auch Gewohnheiten. Heute: Wenn Iren reisen

von RALF SOTSCHECK

Den ersten Urlaubstag auf Mallorca hat Paul damit verbracht, sich zu übergeben, weil er den im Vergleich zu Irland niedrigen Alkoholpreisen nicht widerstehen konnte. Seine Frau Eva und die beiden kleinen Töchter gönnten ihm das zweifelhafte Vergnügen. Santa Ponza im Süden der Insel ist von Mai bis Oktober fest in irischer Hand, und eigentlich ist es wie zu Hause: Die Kneipen heißen „The Dubliner“ oder „The Irish Inn“, der Spar-Supermarkt führt dasselbe Angebot wie daheim, und der spanische Vergnügungsmanager, wie sich der Animateur nennt, spricht Englisch mit breitem irischem Akzent. „Weil jeder zweite Ire Paddy heißt, sprangen immer hundert Männer auf, wenn jemand am Strand ihren Namen rief“, sagt Paul.

Zwei Wochen in der Sonne kosten in Santa Ponza umgerechnet 3.000 Mark für eine Familie, und weil das für Iren die preiswerteste Urlaubsmöglichkeit mit Sonnengarantie ist, nennt man den Ort auch „Ballymun in the sun“. Ballymun ist ein Dubliner Hochhausviertel, in dem die sozialen Probleme so gravierend sind, dass man die ganze Siedlung wieder abreißen will. Eva und Paul freundeten sich mit sechs lauten Damen an, die ihre Reise mit Hilfe der staatlichen Schadenersatzzahlung nach einem tragischen Knöchelbruch in einem Schlagloch Ballymuns finanziert hatten. Als Erstes kauften sie sich in Santa Ponza von ihrer Beute sechs Sombreros.

„Ganz in der Nähe von Santa Ponza wohnen die Reichen und Berühmten“, sagt Eva. „Richard Branson zum Beispiel, der englische Fluglinienbesitzer, hat eine riesige Villa, und der Schauspieler Michael Douglas baut gerade einen Ferienkomplex für die gehobene Preisklasse auf.“ Die Iren sind dagegen im Carolina Park untergebracht, zwei Wohnblöcken mit hundert Apartments.

Alkohol spielt eine zentrale Rolle, wenn es um die Bewertung der Ferienreise geht: Je billiger der abendliche Rausch, desto schöner der Urlaub. Der Megakater am nächsten Morgen ist das bleibende Erlebnis, von dem man den Freunden nach der Rückkehr erzählt. Die Kneipen locken die Touristen mit Sonderangeboten und Freigetränken für Kinder, zur „Happy Hour“ gibt es doppelte Getränke zum halben Preis.

Der Animateur tut ein Übriges, damit keine Kehle trocken bleibt. Ein beliebtes Spiel ist der Sangria-Wettlauf, bei dem die Teilnehmer, mit Plastiklätzchen geschützt, sich durch einen Trichter das vermeintliche Nationalgetränk in den Mund träufeln lassen, die Flüssigkeit über eine Rutschbahn transportieren und in einen Eimer spucken müssen. Derjenige siegt, dessen Behälter nach fünf Minuten am vollsten ist. Freilich verschlucken die meisten die Gewinn bringenden Tropfen unterwegs.

Bei einem anderen Spiel küssen sich Männer und Frauen eine Minute auf verschiedene Körperteile, aber nur der Schiedsrichter weiß, welcher Körperteil einen Punkt bringt. „Bei uns war es die Nase“, sagt Paul. „Schlüpfrige Spiele oder Strippereien gab es nicht, denn meistens waren die Kinder dabei.“ Für die gibt es tagsüber ein eigenes Programm. Im „Kiddies Club“ werden sie mit Hüten und T-Shirts ausgestattet, die Betreuerinnen gehen mit ihnen Eis essen oder zum Minigolf, abends organisieren sie eine Kinder-Disko. Das Meer war bei den beiden Töchtern dagegen weniger gefragt. „Blödes Salzwasser“, sagt Bonnie, „schmeckt eklig und brennt in den Augen.“ Lieber vergnügten sie sich im Süßwasserplanschbecken mit Meeresblick.

„Eine Woche nach uns kamen dreißig Mitglieder eines Dubliner Fußballvereins an“, erzählt Eva. „Einer feierte seinen 21. Geburtstag. Dabei fiel er über die Kaimauer und brach sich den Wangenknochen. Die Ärzte mussten mit der Operation 48 Stunden warten, bis der Alkohol abgebaut war.“

Eva wurde am letzten Tag zur „Miss Carolina“ gewählt. Es war kein herkömmlicher Schönheitswettbewerb, sondern eine Art Dreikampf: Sie musste so viele Männer wie möglich in 30 Sekunden küssen, dem Publikum die Hemden abschwatzen und ein Fotomodell auf dem Laufsteg nachahmen. Zur Belohnung erhielt sie einen mit Sangria gefüllten Pokal, der den gnädigen Mantel des Vergessens über den restlichen Abend breitete.

Die sechs Frauen aus Ballymun hatten sich vor dem Rückflug ihre im Kampftrinken errungenen Medaillen ans Revers geheftet. „Sie werden uns in Dublin für das irische olympische Team halten“, hoffte eine der Sombreroträgerinnen. Die erste Frage, die ihnen der Zöllner auf dem Dubliner Flughafen stellte, lautete: „Na, wie war’s in Santa Ponza?“