Am liebsten nach Lateinamerika

Spanien ist das klassische Urlaubsland für Nordländer. Der wirtschaftliche Aufschwung, nicht zuletzt durch den Tourismus, macht aber auch 40 Prozent der Spanier mindestens einmal im Jahr zu Kunden der Tourismusindustrie. Kinder lernen Englisch im katholischen Irland und Männer lieben Kuba

Lifestyle-Produkt Urlaub. In unserer Sommerserie stellen taz-Korrespondenten grenzübergreifend Reisestile vor. Denn zwischen Wanne-Eickel und Buenos Aires ändern sich nicht nur Destinationen, sondern auch Gewohnheiten. Heute: Spanier

von REINER WANDLER

War bis vor zehn Jahren für einen Spanier ein Tourist einer aus dem reichen Norden, der sich an den Mittelmeerstränden rösten ließ, und Tourismus ein Gewerbe, mit dem sich im Sommer ein paar Peseten verdienen ließen, so haben die Spanier mittlerweile selbst die Lust am Reisen entdeckt. Der wirtschaftliche Aufschwung macht 40 Prozent von ihnen mindestens einmal im Jahr zu Kunden der Tourismusindustrie.

Die Kinder reisen zuerst. Sie werden von ihren Eltern gerne im Juli alleine verschickt. Wer hält schon seinen von drei Monaten Sommerferien verwöhnten Sprössling zu Hause aus? Zahlreiche öffentliche und private Einrichtungen bieten Sommercamps an. Vom einfachen Ausspannen am Strand bis hin zu themenbezogenen Aufenthalten ist alles zu haben. Wer noch immer Lust auf Lernen hat, der kann auch Sprachen pauken – meist Englisch mit native speakers. Eltern, die etwas mehr Geld aufbringen, schicken ihre Kinder auf eine Sprachakademie, häufig nach Irland. „Der katholischen Tradition wegen“, ist sich die Besitzerin einer der Agenturen sicher, die solche Reisen vermitteln. Angebote gibt es genug. Eines billiger als das andere.

Dass die Sparsamkeit auf Kosten der Qualität geht, wird vielen Eltern erst im Nachhinein klar. Klagen über das schlechte Essen, bei dem so mancher Zögling Pfunde verliert, füllen nach den Sommermonaten die Leserbriefseiten der Zeitungen. Unzureichend ausgebildete Betreuer werden zum Problem, sobald eines der Kinder Schaden nimmt.

Auch unter den Sprachschulen im Ausland gibt es genug schwarze Schafe. So im letzten Jahr: Eine Akademie, die Kids mit Dumpingpreisen nach London lockte, gehörte der Neonazigruppe International Third Position, in deren Reihen Scotland Yard die Verantwortlichen für eine Serie von Anschlägen auf Schwulenbars in der britischen Hauptstadt sucht. Als Besitzer firmierte ein in Italien verurteilter Neofaschist.

Trotz der unzähligen negativen Berichte haben Billigangebote immer wieder Erfolg. Schließlich soll die Reise des Sprösslings nicht allzu teuer werden. Denn für August steht der eigentliche Urlaub an. Kommen die Kinder mit, geht es wie eh und je aus der großen Stadt ins Heimatdorf oder zu einer angemieteten Wohnung irgendwo an Spaniens Küsten. Wer die Kinder bei den Großeltern unterbringen kann oder schlicht keine hat, den zieht es meist auf die andere Seite des Atlantiks nach Lateinamerika. Europa begeistert nur wenige, nicht zuletzt wegen der mangelnden Fremdsprachenkenntnisse.

„Wenn überhaupt, dann die Hauptstädte: Paris, London und in letzter Zeit auch Berlin. Asien ist für Exoten, und Afrika findet, von Marokko einmal abgesehen, überhaupt nicht statt“, berichtet Emma, die Besitzerin eines Reisebüros in der Madrider Innenstadt. Ganz oben auf der Liste der Reiseziele steht die Dominikanische Republik. Für etwas mehr als tausend Mark lassen sich hier zwei Wochen an der Playa Barbaro oder Punto Cana finden. Der Preis enthält nicht nur Flug mit Vollpension, es handelt sich um ein todo incluido. Ein Konzept, mit dem die spanischen Hotelbesitzer, die die Karibikstrände dominieren, seit Jahren locken. Einer von ihnen ist der ehemalige Außenminister Abel Matutes.

„Auch für diejenigen, die sich gerne von der Masse abheben wollen, haben wir das Richtige, die Rivera Maya in Mexiko“, sagt Emma. Südlich von Cancún ziehen die Spanier vergleichbare Hotelblocks wie in der Dominikanischen Republik hoch. „Noch haben sie den Ruf, etwas Besonderes zu sein, aber die Anlagen sind schon genauso überlaufen“, lautet das Urteil Emmas, die von den Karibikträumen des Durchschnittsspaniers lebt.

Allein stehende Männer reisen gerne nach Kuba. Nicht etwa aus Begeisterung für den Sozialismus, sondern aus weit profaneren Gründen. Havanna, die Hauptstadt des Arbeiterparadieses Fidel Castros, ist längst wieder zu dem geworden, was es unter den Amis einst war: ein großer Straßenstrich. Die „Pepes“ – so werden die spanischen Freier in Kuba genannt, zählen zu den häufigsten Kunden der jineteras – „Reiterinnen“. Kuba ist längst das Thailand der Spanier.

„Wer im Urlaub etwas sehen möchte, der fährt auch nach Lateinamerika“, sagt Maribel, Reiseführerin in Ecuador und Kolumbien. Trotz der verbindenden Sprache, die selbstständiges Reisen eigentlich erleichtern sollte, bevorzugen die meisten einen Pauschaltrip. „Etwas Exotisches, aber wenn’s geht vom Busfenster aus“, sagt Maribel. „Reicher Spanier, armer Latino – der Tourist weiß, dass er sich in einer ehemaligen Kolonie befindet und tritt entsprechend auf“, erzählt sie. Anekdoten hat sie dutzendweise parat. „Am schönsten war es, als ein baskischer Lehrer einem Koch auf einem Ausflugsboot auf den Galapagosinseln erklären wollte, nach welchem Rezept er den Fisch zubereiten müsse“, erinnert sich die Reiseleiterin.

„Überhaupt glauben alle, dass es in Spanien am besten ist“, fügt Maribel hinzu. Wer einmal im Sommer mit Iberia in Madrid angekommen ist, konnte dies mit eigenen Augen beobachten. Während andere Europäer voller Frust dem sie erwartenden Alltag entgegenschauen, sind die spanischen Passagiere, sobald der Flieger zur Landung auf heimischen Boden ansetzt, fröhlich und zufrieden. Endlich zu Hause. Das Pflichtprogramm Sommerurlaub ist abgearbeitet. „Von hier nach Madrid und von Madrid in den Himmel“ heißt nicht umsonst eines der Sprichwörter in der spanischen Hauptstadt.