berliner szenen
: Kunst am Alexanderplatz

U-Deur

Das ist also eines der Aushängeschilder des neuen Berlin. Der Alexanderplatz. Zugig, gesäumt von mehr oder weniger leer stehenden, imposanten Häusern, die früher so gestelzte wie rührende Suffixe wie „des Lehrers“ oder „des Reisens“ trugen; umgeben von mehrspurigen Straßen, über die man komischerweise noch immer ohne größere Probleme zu Fuß rüberkommt; mit Billigschuhshops und voll Skater, Penner, Einkäufer und Touristen. Sogar eine hübsche Kongresshalle steht da und wird höchstens mal zur Sex-oder Waffenmesse (wo man nicht hingeht) oder zum Berlin-Beta-Festival (da schon eher) gefüllt.

Unter der Erde geht diese krude Mischung weiter, und seit Jahren hängt hier auch Kunst. Die NBGK macht regelmäßig U-Bahnhof-Ausstellungen. Momentan hat Helgard Haug die Berlin-Alexanderplatz-U-Bahn-LuftLuftLuft als Parfüm in kleine Röhrchen gesperrt. „U-Deur“ heißt ihre Installation zum Mitnehmen, Auftragen und Sich-fragen-Lassen: „Schatz, wo warst du? Bist du wieder U2 gefahren?“

Das Vordergründigste am U2-Bahnhof Alexanderplatz ist, rein olfaktorisch, der penetrante, süßliche Butterduft, der aus dem Bahnhofsbäckerstand weht. Man kriegt Hunger, aber gleichzeitig wird einem auch schon schlecht – eigentlich typisch Berlin. Mit etwas Fantasie findet man diese brechreizsüße Note auch in dem kleinen Glasröhrchen wieder, das für zwei Mark aus hübschen, unauffälligen Automaten gekullert kommt.

Folke Köbberling (wird man mit solchen Namen eigentlich automatisch KünstlerIn?) dagegen möchte „zeitgenössische Vergangenheit verbreiten“. Sie ermöglicht den PassantInnen, ihren „Eindruck von der jetzigen baulichen Gestaltung“ des Alexanderplatzes niederzuschreiben, „Was mögen Sie? Was mögen Sie nicht? Wie könnte er abgeändert werden?“ Die Ideen veröffentlicht sie dann an einem kleinen, ehemaligen BVG-Häuschen neben einem der U2-Ausgänge. Dort hängen die Aufzeichnungen als „aktuelles Tageblatt“ und sind teilweise richtig hübsch. „Als ich 16 war, war es sehr toll, in den Kaufhof zu gehen“, schreibt S. R.: „Hier gab es Fleckenteufel, Krustenbrote und vieles mehr. Der Fleckenteufel war ne kleine Plastiktube, so ...“ Und dann malt S. R. die kleine Plastiktube auf und schreibt von der „langen Periode des Experimentierens mit Fleckenentfernern auf Westprodukten“.

Ein Mann in BVG-Uniform steht gerade mit würdevoller Miene an dem kleinen Schreibpult und macht eine kreative Pause. „Lesense ruhig mal.“ Er beschwert sich, dass zu wenig Grün auf dem Alex wächst, dass mehr Kapellen spielen sollten, und dass man die alten Häuser doch bitte einfach stehen lässt. „Die Idee ist“, erklärt Folke noch, „dass man seine Sachen hier abgibt, und mit der Tragetasche, einem Plan, Stift und Papier losgeht. Und später dann alles aufschreibt.“ Dann klebt sie weiter ihre Zeitung an die Wand, und ein paar Skater, Touristen und Penner schlendern vorbei, um dort oben die niedrigen Wolkenkratzer,die unlesbare Weltzeituhr und die aus dem Nichts erscheinende Tram auf sich wirken zu lassen. Mal sehen, was sie später aufschreiben. JENNI ZYLKA