DER US-TEST EINER RAKETENABWEHR IM WELTRAUM IST GESCHEITERT
: Chimäre im All

„Eine Maginotlinie am Himmel“ nannte Andrej Sacharow die Idee einer Raketenabwehr, „etwas, was in ferner Zukunft vielleicht einmal eine praktische Möglichkeit sein könnte, vom militärstrategischem Standpunkt aus gesehen aber immer ein Ding der Unmöglichkeit bleiben wird.“ Der gescheiterte Raketenabwehrtest zeigt, dass seit der Einschätzung des sowjetischen Atomphysikers weder Amerika noch Russland dieser „fernen Zukunft“ näher gekommen sind. Der Mann, der die sowjetische Atombombe gebaut und 1975 wegen seiner unverblümten Kritik am Wettrüsten den Friedensnobelpreis erhalten hatte, konnte den damaligen sowjetischen Generalsekretär davon überzeugen, dass SDI, wie Reagans Star-War-Fantasie hieß, keine ernst zu nehmende Größe war. Auf dem Washingtoner Gipfel brachte Gorbatschow 1987 dann auch seinen Verhandlungspartner gründlich aus dem Konzept. Auf Reagans Pro-SDI-Plädoyer erwiderte Gorbatschow zur Verblüffung seines Gastgebers: „Herr Präsident, ich glaube, Sie verschwenden Geld. Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Aber wenn es das ist, was Sie machen wollen, dann tun Sie es.“

NMD, wie die neueste Version des alten Traums heißt, ist nicht dasselbe wie SDI und – anders als Reagans SDI – auch keine Trumpfkarte in Abrüstungsverhandlungen. Sacharow und Gorbatschow scheinen Recht zu behalten. Die Raketenabwehr bleibt eine Chimäre.

Bei allen Unterschieden aber gilt für NMD allemal, was für SDI galt. Es bedroht niemanden – allenfalls den Common Sense und Amerikas Budget. Für Russland ist das Projekt so unerheblich wie für China. Dass eine Raketenabwehr Russlands Abschreckungspotenzial entwerten würde, wie Russlands Präsident Putin und amerikanische Gegner der Raketenabwehr geltend machen, ist vor allem eine Behauptung, die Russlands marodes Atomarsenal nicht in Frage zu stellen wagt. Wozu aber braucht Russland atomare Abschreckung? Bedroht ist Russland allenfalls von der sowjetischen Hinterlassenschaft dahinrostender Raketen und Bomben. Das Gleiche gilt für Chinas 20 Atomraketen. Niemand auf der Welt bedroht China. Auch die Europäer sind von einer amerikanischen Raketenabwehr, die auf absehbare Zeit nicht funktionieren wird, nicht bedroht. Wenn die US-Regierung so verrückt sein will, Milliarden in ein Luftschloss zu investieren, dann ist das tragisch für all jene, denen durch eine andere Verwendung dieser Haushaltsmittel geholfen wäre. Amerikas Verrücktheit aber ist Angelegenheit der Amerikaner, und die Welt sollte wie Gorbatschow auf Reagans verdutztes Schweigen antworten: „Können wir von was anderem reden?“ PETER TAUTFEST