ukraine pokert um hilfe
: Reaktoren als Faustpfand

Es war eine sehr kurze Pressekonferenz. Kaum hatte der ukrainische Regierungschef Wiktor Juschtschenko gestern vor versammelter Presse gesagt, dass er weiterhin die beiden Ersatzreaktoren für Tschernobyl fertig stellen möchte, brach Außenminister Joschka Fischer die Konferenz abrupt ab. Keine zweite Frage erlaubt. Nicht nur die Journalisten, auch der Präsident der Osteuropabank, immerhin zur Konferenz geladen, rieben sich düpiert die Augen.

Kommentarvon MAIKE RADEMAKER

Was hatte Fischer erwartet? Der Westen sammelt 700 Millionen Dollar – und schon rückt die Ukraine endlich, endlich von der fixen Idee neuer AKWs ab? Dass Juschtschenko das letzte Pfand vergibt, mit dem er den Westen und vor allem Deutschland erpressen kann? Wohl kaum. Schon die Zusage, Tschernobyl zu schließen, hat der Ukraine die Möglichkeit zu weiterer Erpressung genommen.

Jetzt wird also die brüchige Schutzhülle um den alten Reaktor erneuert. Davon profitieren alle, schließlich ist der jetzige Sarkophag samt Inhalt eine Gefahr für Mensch und Umwelt. Aber so ganz nebenbei profitieren davon auch die beauftragten Baufirmen, darunter deutsche.

Was während der Sammelei auf großen Konferenzen weniger auffiel: Der Geldsegen geht sehr selektiv auf die Ukraine nieder. So notwendig ein Sarkophag für Tschernobyl ist – die Katastrophe hat nicht nur eine strahlende Ruine hinterlassen. Sondern auch Menschen, die verstrahlt wurden und dringend Hilfe benötigen. 1986 wurde – so die Weltgesundheitsorganisation – mehr als hundertmal so viel Radioaktivität freigesetzt wie durch die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki zusammen. Welche Auswirkungen dies langfristig haben wird, lässt sich erst in 30 Jahren verlässlich sagen: Bei sieben Millionen Menschen können sich gesundheitliche Schäden erst noch zeigen. Trotzdem muss die Ukraine schon heute ein Fünftel des Staatshaushaltes für die Folgen aufwenden.

Für die Opfer ist ausländische Unterstützung zwar da, aber sie ist gering, unspektakulär und hilflos. Es winken eben keine Baugeschäfte als Kompensation. Wie UN-Generalsekretär Kofi Annan beklagt, haben viele Hilfsprojekte für Tschernobyl-Geschädigte inzwischen aus Geldmangel aufgeben müssen. Unter diesen Bedingungen ist es nicht verwunderlich, wenn ein ukrainischer Regierungschef um Hilfe pokert. Und Pokern tut er – nicht umsonst hat Juschtschenko schon mal das Wort „nichtnukleare Ersatzkapazitäten“ fallen lassen.