Der Entführte

Der „Spiegel“-Reporter Andreas Lorenz ist kein Draufgänger, sondern ein gewissenhafter Journalist, der eben eine Geschichte nicht einfach aufgibt

Manche denken, das Korrespondentenleben sei Zuckerschlecken, vor allem wenn man weit weg von zu Hause die Welt bereist, etwa auf einer pazifischen Insel, und dann noch gut gehalten wird, wie das bei einem so renommierten Blatt wie dem Spiegel üblich ist. Doch Andreas Lorenz kennt dieser Tage kein Zuckerschlecken. Dabei wollte der Herzblut-Journalist, der am Sonntag von Kidnappern auf der südphilippinischen Insel Jolo entführt wurde, nur seine Arbeit machen: eine Geschichte nicht aufgeben, wenn alle anderen längst wegschauen. Vor Ort bleiben, wenn alle anderen längst wieder daheim sind. Das gehört für einen wie Lorenz einfach zum Beruf. Dabei war er sich der Kritik an dem deutschen Medienrummel um die verbliebenen zwanzig Geiseln auf Jolo durchaus bewusst. Doch was half die Kritik den Opfern vor Ort? Ihnen konnte es nur schaden, wenn die Öffentlichkeit ihr Interesse an den Geiseln verliert.

So fuhr Lorenz vergangene Woche zum wiederholten Mal nach Jolo. Bereits auf seiner ersten Reise war er im Konvoi mit einer Ärztin und anderen Journalisten in den Hinterhalt von Kidnappern geraten. Mit einer Lösegeldsumme über 25.000 Dollar wurden die Gefangenen freigekauft. Inzwischen hat sich die Situation vor Ort zugespitzt. Lorenz war sich dessen bewusst und vermied deshalb, das Stadtzentrum Jolos zu verlassen. Trotzdem geriet er erneut in einen Hinterhalt vermeintlicher „Kontaktpersonen“, die offenbar ihre Waffen zückten, sobald sie sein Auto bestiegen hatten.

Nun mag der Verdacht aufkommen, Lorenz sei ein Draufgänger. Doch das Gegnteil ist richtig. Zu Recht beschreibt ihn der Spiegel als einen der „erfahrensten“ Mitarbeiter des Blattes. Er ist auch einer der gewissenhaftesten. Sein jüngster Job in China stellt das unter Beweis. Lorenz pflegt eine differenzierte und kritische Berichterstattung über das Riesenreich, statt – wie viele andere – nur die Keule gegen die Kommunisten zu schwingen. Seine Arbeit wurde bis in höchste Kreise wahrgenommen.

Kürzlich empfing ihn sogar der chinesische Ministerpräsident. Vielleicht hätte er auch auf den Philippinen lieber ein Rendezvous mit dem Präsidenten suchen sollen. Doch es wäre nicht Lorenz’ Art gewesen. Als junger Schreiberling begann er sein Reporterleben beim Spandauer Volksblatt. Damals verkaufte der Hertha-BSC-Fan Bier und Brause im Olympiastadion.

Jetzt verpasste er das Endspiel der Fussball-EM ausgerechnet im philippinischen Busch. So ist eben das Korrespondentenleben.

GEORG BLUME