Endstation Sehnsucht

Urbane Selbstorganisation: Der mexikanische Ort Maclovio Rojas

Tijuana ist kein schöner Ort. In Tijuana will eigentlich keiner bleiben. Trotzdem wird die mexikanische Grenzstadt zu den USA immer größer. Die Busse aus dem Süden bringen jeden Tag Hunderte, deren Reisegepäck aus einer Plastiktüte oder einem kleinen Koffer besteht. Menschen kommen aus Guatemala, El Salvador, Nicaragua, meist aber aus den südlichen Bundesstaaten Mexikos. Auch aus dem Norden, aus den USA, treffen jeden Tag Tausende ein, unfreiwillig allerdings: Es sind die von der Grenzpolizei Abgeschobenen. Etwa 860.000 Mexikaner und Mexikanerinnen wurden allein von Oktober 1999 bis März 2000 von den US-Behörden entlang der Grenze aufgegriffen und nach Mexiko abgeschoben.

Tijuana ist für viele Ausgangspunkt und Endstation ihrer Reise ins Land der Wolkenkratzer. Es ist aber auch der Ort, wo die Migrationspolizei jeden verhaftet, der nicht um Erlaubnis gefragt hat, sich den „amerikanischen Traum“ zu erfüllen. Während auf der US-Seite die Wolkenkratzer San Diegos in die Luft ragen, reihen sich auf dem mexikanischen Territorium rund um das Zentrum Tijuanas Elendsviertel, die von Hunderttausenden Mexikanern bewohnt werden.

Doch ausgerechnet hier findet sich ein Beispiel kollektiver Gestaltung urbaner Räume: Die Siedlung Maclovio Rojas. Nach einem ermordeten Landarbeiterführer benannt, besteht Maclovio Rojas schon länger als die meisten Siedlungen an der Landstraße Ruta 2. Vor über zehn Jahren besiedelten die ersten Migranten ohne Erlaubnis den kahlen Hügel. Heute leben in Maclovio Rojas über 1.500 Familien. Ohne offizielle Anerkennung und ohne reguläre Wasser- oder Stromversorgung haben die Bewohner eine basisdemokratische Gemeinde aufgebaut. Alles wird in Versammlungen entschieden. Schule, Kindergarten, Frauenhaus, Bibliothek, Gemeinschaftszentrum und sogar Straßen haben die Bewohner selbst gebaut. Seit Jahren versuchen sie die Legalisierung des besetzten Landes zu erreichen, denn gemäß der mexikanischen Verfassung steht allen mexikanischen Staatsbürgern Land zu.

Doch die Regierung und die Firma Hyundai – von dessen Werk sie nur ein Stacheldrahtzaun trennt – setzen alles daran, sie zu vertreiben. Die Einwohner organisieren daher immer wieder Protestmärsche und Aktionen. Als beispielsweise im August 1996 zwei ihrer Vertreter verhaftet wurden, liefen 170 Bewohner in einem March for Liberty acht Tage lang etwa 200 Kilometer quer durch die Wüste bis in die Hauptstadt des Bundesstaates Mexicali mit anschließendem Sit-in vor dem Regierungsgebäude, während ein Unterstützungskomittee eine internationale Protestbriefkampagne organisierte. Der Gouverneur musste aufgeben, die Inhaftierten wurden mit Meldeauflagen freigelassen und Maclovio Rojas Verhandlungen über Landtitel zugesagt.

Aber die hat es bis heute nicht gegeben. Räumungsaufforderungen und nächtliche Polizeieinsätze gehören weiterhin zum Alltag. In einer kleinen Hütte direkt hinter dem Versammlungszentrum ist immer ein Verantwortlicher zu finden. Hier werden anhand eines großen Plans die Grundstücke an die Neuankömmlinge verteilt. Und das sind immer noch jährlich an die hundert Familien. DARIO AZZELLINI