29 Stunden Blockade am Brenner

Pünktlich zur Ferienzeit legen Umweltschützer und Anwohner den Verkehr auf der wichtigsten Alpentransitstrecke lahm, um gegen Brüssels Lkw-Politik zu demonstrieren. Örtliche Behörden sind einverstanden, der FPÖ-Verkehrsminister ist mit dabei

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Der Ärger über „die in Brüssel“ führt in der österreichischen Provinz zu seltsamen Bündnissen. Unter dem Motto „Kampf dem Transit“ blockieren seit gestern Morgen zehn Uhr Umweltschützer, Tiroler Landespolitiker und Tourismusfunktionäre die Brennerautobahn. Auch der österreichische Verkehrsminister Michael Schmid (FPÖ), der sich zunächst von der Aktion des grün-alternativen Transitforums Austria-Tirol distanziert hatte, kündigte am Donnerstag seine Teilnahme an.

Schmid hat kalkuliert, dass ihm seine Anhänger den gemeinsamen Auftritt mit den Ökos ausnahmsweise verzeihen werden. Auf die EU-Verdrossenheit in der Region kann er ganz sicher bauen. Denn die EU hält sich nicht an das Transitabkommen, das sie mit Österreich geschlossen hat. Die Touristen bleiben weg – nicht wegen der FPÖ, sondern weil die Brummis in den engen Alpentälern die Luft verpesten und die Nachtruhe stören. Schon 1996 ergaben Messungen in Wörgl, Südtirol, dass dort die Luft stärker mit Schadstoffen belastet ist als in Wien oder im Ruhrgebiet. Laut Weltgesundheitsorganisation hat die verkehrsbedingte Luftverschmutzung in den Alpenländern Schweiz, Österreich und Frankreich 1996 26,7, Milliarden Euro an Gesundheitskosten verursacht. Und die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA wies darauf hin, dass ein Lkw im Alpenraum dreimal höhere Immissionen verursacht als in der Ebene.

Schon vier Jahre vor seinem EU-Beitritt 1995 hatte Österreich mit der Union einen Transitvertrag ausgehandelt, der zu weniger Verkehrsbelastung auf den Alpenstrecken hätte führen sollen. Danach wurde die Zahl der jährlich über den Brenner erlaubten Lastwagenfahrten auf dem Stand von 1995 eingefroren – auf 1,5 Millionen Fahrten. Um diesen Vertrag umzusetzen und gleichzeitig die Schadstoffbelastung kontinuierlich zu senken, verteilte die EU-Kommission jedes Jahr sogenannte Ökopunkt-Kontingente an diejenigen Speditionen, die Österreich durchqueren wollen. Als schadstoffarm eingestufte Fahrzeuge brauchen weniger Ökopunkte.

Dieser Anreiz funktionierte – aus Tiroler Sicht eher zu gut. Denn während Anfang der 90er Jahre für eine Fahrt im Schnitt 16 Ökopunkte berechnet wurden, kommen inzwischen viele Fahrzeuge mit fünf oder sechs Ökopunkten aus. Das bedeutet, dass viel mehr Brummis über den Brenner donnern als zuvor – ohne dass Brüssel mehr Ökopunkte vergeben würde.

„Der Zuwachs der Fahrten frisst die technischen Verbesserungen auf“, kritisiert Fritz Gurgiser, Organisator der Brenner-blockade und Chef des Tiroler Transitforums. 1999 wurden auf der Brennerstrecke 1,7 Millionen Fahrten gezählt, 15 Prozent mehr als erlaubt. Eigentlich sieht das Transitabkommen zwischen der EU und Österreich für den Fall, dass die Ökopunkte nicht mehr den gewünschten Effekt haben, eine Notbremse vor: Sollte die Zahl der durchgeführten Transitfahrten den Basiswert von 1,5 Millionen Fahrten um mehr als acht Prozent übersteigen, werden im kommenden Jahr weniger Ökopunkte verteilt. Daran hat sich die EU-Kommission nicht gehalten. Schon im März hatte sie zwei Drittel der ursprünglich erlaubten Punktmenge an die Spediteure verteilt. Um diesen Vertragsbruch zu kaschieren, wird nun an einer Änderung des Abkommens gebastelt. „Die Kommission vertritt die Auffassung, dass eine wörtliche Auslegung sehr nachteilige Auswirkungen auf die Wirtschaft der EU insgesamt hätte“, heißt es in einer Stellungnahme.

Während die Kommission einerseits neue Maßnahmen für mehr Brummi-Sicherheit beschließt, will sie andererseits an die ehrgeizigen Ökoziele des Transitvertrages nicht mehr erinnert werden. Kommissionspräsident Prodi bezeichnete die Brennerblockade am Dienstag als Behinderung des freien Warenverkehrs. Das letzte Wort werden Montag und Dienstag die Verkehrsminister haben. Sie müssten sich darauf verständigen, die im Vertrag vorgeschriebene Punktereduzierung auf die gesamte Vertragsdauer bis 2003 zu strecken. Sollte Michael Schmid nicht zustimmen und sich einer geschlossenen Front seiner 14 EU-Kollegen gegenüber sehen, weiß er ganz Österreich hinter sich – inklusive grün-alternativer Szene.