Ein Bild von einem Prinzen

Warum alle immer auf dem Hannoveraner Welfenspross Ernst August herumprügeln, und warum sich das vermutlich auch nicht so schnell ändern wird

von JENNI ZYLKA

Alle haben etwas gegen ihn. Er ist der Prügelknabe der adelsfeindlichen Presse, der Skandallieferant der geifernden Plebejer, das Feindbild der militanten Abstinenzler. Und jetzt will ihn sogar die Bild-Zeitung verklagen. Sie erstattete gestern „Strafanzeige“ wg. Bedrohung und Beleidigung in „unflätiger, ekelhafter und obszöner Weise.“ Hintergrund: Ernst August hatte mit einer Redaktionsleiterin die exklusive Bild-Enthüllung seines sog. „Pinkel-Skandals“ telefonisch zu diskutieren versucht (siehe „Die Fachpresse“).

Doch wird man damit der Ernst-Augustschen Verteufelung gerecht? Vielleicht dreht sich der neueste Aufruhr um den undogmatischen Jungwelfen allein um das natürliche Bedürfnis eines verzweifelten Mannes. Ein Bedürfnis, dem nach vorsichtigen Schätzungen mehr als die Hälfte aller männlichen Erdenbewohner über 2 schon einmal in der Öffentlichkeit nachgekommen sind, wenn auch eher selten an türkischen Expo-Pavillons. Abgesehen von dem Verdacht, die Fixierung auf den feuchten prinzlichen Fauxpas beziehe sich nur auf die mögliche Aussicht, bald eine alliterative Stilblüte wie „Pinkel-Prügel-Prinz“ etablieren zu können, bleibt das Gefühl, man gönne dem Prinz das Prinz-Sein einfach nicht.

Seriöse wie andere Medien berichten seit Jahren mit großer Verve über die Ausrutscher des Chefs des „Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg“. Ob der ausgebildete Landwirt sich gegen das Zurschaustellen seiner Ehescheidung von 1997 zur Wehr setzt, oder ob der schelmische Brillenträger die Justiz narrt und sich eine Vorladung zu einem Beleidigungsprozess einfach nicht zustellen lässt. Vielleicht war er ja immer nur zufällig nicht zu Hause, wenn der Einschreiben-Postmann klingelte. Wobei die Beleidigung „Oberarschloch“, die ihm gegenüber einem Polizisten herausgerutscht sein soll, auch im Zusammenhang mit dem Schauplatz der kleinen Debatte (Oberösterreich) gesehen werden muss.

Auch die Sicherung seiner Privatsphäre, der der Prinz manchmal mit drastischen, aber durchaus nicht ungebräuchlichen Mitteln (Regenschirm) nachzuhelfen pflegt, wird ihm von missgünstigen „Adelsexperten“ nachgetragen. Der Begriff des „Adelsexperten“ erfordert ohnehin der Klärung. Merke: Ein Hut im Ascot-Format allein macht noch keinen Experten aus, das sollten sich vor allem öffentlich-rechtliche Formate wie das Boulevard-Magazin „Brisant“ hinter die Ohren ritzen. Auch die redaktionelle Leitung einer bunten Illustrierten rechtfertigt keinesfalls die ständige Präsenz und O-Ton-Geberei in Hoheitsfragen. Aber der Urenkel des letzten deutschen Kaisers ist nicht erst seit seiner Heirat mit Caroline Freiwild für jeden, der etwas gegen den Adel hat. Blaublüter scheinen heute zu Stiefkindern der Gesellschaft zu werden.

Natürlich, ihr klassisch-exekutiver Sinn hat sich überlebt. Im Gegensatz zu den Grimaldis haben deutsche Adelige eigentlich nichts mehr zu sagen und noch weniger zu tun, eventuell hin und wieder in der Öffentlichkeit heiraten oder feiern, und damit ABM-Stellen für FotografInnen und JournalistInnen schaffen. Trotzdem: „Heinrich der Löwe“, „Otto das Kind“ oder „Ernst der Bekenner“ (führte nicht etwa das gleichnamige Schreiben, sondern die Bekenntnisbindung in der Ev. Kirche ein) waren amtliche Adelige und in direkter Linie mit Ernst August verwandt. Das erklärt anlagenmäßig (Löwe, Kind = Prügel, Pinkel) einiges, aber noch nicht, warum Ernst Augusts Malessen so genüsslich in der Öffentlichkeit aufbereitet und verschlungen werden. Erklärungsmodelle:

1. Das „Der-ist-ja-schlimmer-als-ich-Modell“: Natürlich hat der Adel nicht mehr die Vorbildfunktion, die er mal hatte. Er bekommt sie aber auch nicht zurück, wenn nämlich mit „adeligem Benehmen“ demnächst das Verhalten von Hooligans nach einem verlorenen Spiel bezeichnet wird.

2. Das „Schadenfreude-Modell“: Die pure Lust an den Fehlern anderer. Oft zu beobachten bei kritischen Zeitungen und Fernsehsatirikern. Und garantiert gibt es auch Welfen-intern und sogar im relativ untadeligen Adeligenhaus Grimaldi hämische Freipersonen, die sich über das medienwirksame Danebenbenehmen des Prinzen kaputtlachen.

3. Das „Solidaritäts-Modell“: Siehe Harald Juhnke und seinHobby, schwarze Wachmänner und die Öffentlichkeit betrunken mit rassistischen Sprüchen zu schockieren. Das ist zwar eindeutig unverzeihlich, aber als erstes haben ihm die BerlinerInnen verziehen (wg. Herz und Schnauze). Kann ja jedem mal passieren.

4. Das Neid-Modell: Einen Prinzen muss man beneiden! Und das Haus Hannover ist ein dankbares Neidobjekt: Die von den Langobarden abstammenden Welfen besaßen Güter südlich und nördlich der Alpen, essen täglich Stopfleber, haben ein blau-rot-goldenes Familienwappen , und konnten sich durch Ernst Augusts Verbindung mit Caroline von Monaco „edel“ heiraten, die Grimaldis sind nach dem internationalen Adelsgeschlechterstandard jedenfalls rein optisch ein First-Class-Fürstenhaus: Sie erfüllen die Prinzessinnenvorgaben besser, als die Gebrüder Grimm es sich je ausdenken konnten. Die Physis des stiernackigen Ernst August dagegen, wenn die Brille nicht wäre, könnte Unkundige möglicherweise auf einen grenzdebilen Jahrmarktsringerstammbaum schließen lassen.

Bei der nächsten Skandalberichterstattung über angebliche und echte Schlag- und Trinkexzesse des Hannoveraners muss also dringend abgewogen werden: Geht das gegen den Menschen Ernst August? Oder versucht man nur, tiefsitzende, atavistische Adelsaversionen zu befriedigen?