Käseschachtel Deutschland

Die Expo wollte Zukunftsvisionen entwerfen. Doch bleibt es beim Recyceln – von Materialien, Bildern, Ideen. Echte Utopien fehlen. Deutschland präsentiert sich als Wiederverwertungsanlage

von UTE SCHEUB

Aha, so ist das: Heidi recycelt. Befragt von Fernsehmoderator Thomas Gottschalk, bekannte sich Fotomodell Heidi im ZDF dazu, ihren Müll zu trennen. Wahrhaftig eine revolutionäre Tat, wichtig genug, auf der Eröffnungs-Gala der Expo einem Millionenpublikum bekannt gemacht zu werden. Schließlich will die Weltausstellung „Ideen für die Welt von morgen“ liefern und laut Generalkommissarin Birgit Breuel zeigen, „wie der Mensch mit einer Technik, die ihm zu dienen hat, ein neues Gleichgewicht mit der Natur finden kann“.

Aber nicht nur Heidi recycelt, auch die so genannten Weltpartner der Expo, die deren Themenpark mitfinanziert haben, sind tolle Wiederverwerter: Siemens und Preussag recyceln, DaimlerChrysler und Volkswagen recyceln, und Coca-Cola und Langnese und McDonald’s sowieso. Wie, das glauben Sie nicht? Haben Sie noch nie einen Hamburger probiert? Und in den Atomkraftwerken, die Siemens exportiert, soll ja auch echt recyceltes Plutonium verheizt werden.

Überhaupt ist Deutschland eine einzige Wiederverwertungsanlage. Der deutsche Pavillon zeigt das in vorbildlicher Weise. Seine äußere Hülle verweist, wenn auch etwas deformiert, auf seine frühere Nutzung als Käseschachtel, auch der entsprechende Inhalt lässt sich mühelos wiedererkennen. Am so genannten „Baum des Wissens“ hängen – Gottschalk & Co werden sich über den trefflichen Hinweis freuen – ausschließlich Bildschirme.

Die Utopien für die Welt von morgen: Wissen und Fernsehen sind endlich eins geworden, ebenso Werbung und Information – dank konsequenter Wiederverwertung der bereits erzeugten Bilder. Zu Walzermusik und Mozart-Klängen zeigt sich Deutschland von seinen schönsten Seiten: fröhlich, bunt, durchtechnisiert und fast gänzlich ohne Deutsche. Zu sehen ist die Chip-Produktion in Bayern, der deutsche Wald, das Radioteleskop von NRW, der deutsche Wald, die schwäbische optische Industrie, der deutsche Wald. Auch die deutsche Geschichte kommt vor, jawoll: Bilder aus dem Jüdischen Museum oder Wie wir lernten, den Holocaust zum Kunstwerk zu machen. Romantik, Menschenferne, Technikverliebtheit, Geschichtsabgewandtheit – auch das eine gelungene Wiederverwertung alter deutscher Ideen. Heidi recycelt nun mal sehr gründlich.

Ist das jetzt alles zu böse? Vielleicht. Denn sogar auf der Expo ist in manchen Winkeln und Nischen zu entdecken, was aus ihr hätte Großartiges werden können. Mit einer simplen Frage hat der Inder Rajeev Sethi, Ausstellungsmacher der Themenpark-Abteilung „Basic Needs“, das denkbar schönste Gegenprogramm zum LSD (Langnese-Siemens-Daimler)-Technodelirium geliefert: Was brauchen wir wirklich? Benötigen wir all das Zeug auf der Expo tatsächlich? Kommt es im Leben etwa auf Nogger-Shoc oder Doppel-Propper-Automatic-Pneumatics an?

Rajeev Sethi hat in Gemeinden rund um den Globus gesammelt, was den Menschen dort am meisten am Herzen lag: wie eine Wasserpumpe den Bewohnern einer vertrockneten Landschaft in Bolivien neue Hoffnung bringt, wie ein Augenarzt im Sudan sich um Sehkranke kümmert. Basic Needs, dazu gehören weltweit unter anderem: Nahrung, Wasser, Kleidung, Sex, Behausung und gute Toiletten, Liebe und Eingebundenheit in die menschliche Gesellschaft, das Recht auf Fragen und auf kreative Spiele an den Quellen des Wissens. „Gut leben statt viel haben“, lautet einer der Slogans im letzten Abschnitt von „Basic Needs“.

Wie wäre denn das gewesen: Statt „Mensch – Natur – Technik“ einfach „Gut leben statt viel haben – Expo, die Zukunftswerkstatt der Völker“? Wie wäre denn das geworden, hätte man die Milliarden Steuergelder genutzt, um KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen aller Weltkulturen einzuladen, gemeinsam an den Lösungen der Menschheitsfragen zu arbeiten?

Länderzentrierte Weltausstellung seien im Zeitalter der Globalisierung eh ein Anachronismus, hat Ulrike Herrmann kürzlich an dieser Stelle argumentiert. Nach einem ermüdenden Expo-Rundgang durch die Pavillons (Grau – Glas – Beton – Grau –Glas – Beton, dazwischen Bildschirme – Bildschirme – Bildschirme) fragt man sich indes, ob es überhaupt noch nationale Besonderheiten gibt. Oder ob die Verbrechergilde der postmodernen ArchitektInnen und AusstellungsmacherInnen nicht schon längst die globale Macht übernommen hat. Aber die Lösung der weltweiten Probleme, da hat Ulrike Herrmann Recht, die kann man sich heute nicht mehr unter dem Dächlein einer einzigen Nation ausdenken.

„Ideen für die Welt von morgen“, „ein neues Gleichgewicht mit der Natur finden“, „nachhaltige Lebensweisen im Sinne des Umweltgipfels von Rio aufzeigen“ – wer wie die Expo-Gesellschaft derart gigantische Ansprüche formuliert, hätte völlig neue Wege gehen müssen. Eine gänzlich andere Art von Weltausstellung wäre entstanden, wenn VertreterInnen von Regionen, Kulturen und Nichtregierungsorganisationen gemeinsam den Themenpark hätten entwerfen dürfen – als Antwortversuche auf die dringendsten globalen Probleme. Was braucht die Menschheit wirklich, was die geschundene Tierheit, was die ausgebeutete Pflanzenwelt? Wie kann man die Ressourcen weltweit schützen und demokratisieren, die Wasservorräte und Nahrungsmittel, die Handels- und Informationsmonopole? Wie erreichen wir, dass alle Menschen satt werden, ihren Wissensdurst stillen können, ihrer Menschenrechte sicher sind? Wer sorgt umgekehrt dafür, dass sie im Elend hängen bleiben? Wer will keine Macht abgeben? Wie können wir die Lobbys der Macht austricksen, wie globale Bündnisse bewusster ProduzentInnen und VerbraucherInnen schmieden? Wie könnte ein Weltparlament und eine Weltregierung jenseits der betonierten Machtverhältnisse in der UNO aussehen? Basic Needs Worldwide, durchbuchstabiert von A wie Abschaffung der Rüstungsindustrie bis Z wie Zukunftswissen.

Die Bilder dieser Ausstellung, zum Teil sind sie schon entworfen. Es gibt die kleinen dezentralen Solarstationen, die Strom und digitales Wissen bis in die abgelegensten Dörfer bringen können. Es gibt die Medikamente, mit denen man die schlimmsten Infektionskrankheiten in der so genannten Dritten Welt – einschließlich Aids – in Schach halten und Millionen von Menschen retten könnte. Und es gibt unendlich viele Initiativen, die zusammen genommen die weltweite Zivilgesellschaft zum Entstehen bringen könnten, wären sie nur besser vernetzt und miteinander bekannt. Ein paar dieser Projekte sind auch jetzt schon im „Global House“ der Expo zu sehen – als Randdekoration.

Nach einer Expo der neuen Utopien zu schreien, ist angesichts der realen Machtverhältnisse in der Welt natürlich ebenfalls ein utopisches Ansinnen. Aber deswegen noch lange nicht falsch.

Hinweise:Die Expo-Utopien für die Welt von morgen: Wissen und Fernsehen sind endlich eins gewordenNicht „Mensch –Natur – Technik“ hätte das Motto lauten sollen, sondern „Gut leben statt viel haben“