Was vom Leben übrig bleibt

Manchmal hilft es, wenn man Elend sieht: Die Schaubühne zeigte mit „Freundschaft“ die erste Inszenierung der Theaterpädagogin Uta Plate. Jugendliche des Laienensembles „Die Zwiefachen“ spielen ihre eigene Geschichte

Realistischer geht es nun fast wirklich nicht mehr. Wem das Theaterstück „Freundschaft“, das am Donnerstag an der Schaubühne Premiere hatte, immer noch am Leben vorbei gespielt erscheint, der sollte sich besser gleich für mehrere Stunden in die U-Bahn setzen. Die Theaterpädagogin Uta Plate, die im September 1999 von dem neuen Leitungsteam an den Lehniner Platz geholt wurde, bringt mit ihrem Laienensemble „Die Zwiefachen“ nicht mehr reine Fiktion, sondern nahezu das wahre Leben auf die Bühne.

Zwölf Jugendliche aus betreuten Wohnprojekten spielen in dem gut einstündigen Stück ihre eigene Geschichte, oder zumindest das, was nach Gesprächen und Strichfassungen von ihrem Leben übrig geblieben ist. Oft sind das nur kleine talkshowähnliche Monologe, die an den sozialen Realismus der Siebzigerjahre erinnern, manchmal auch Bilder und Szenen, die über die reine Abbildung des alltäglichen Wahnsinns hinausreichen. „Einfache Wiedergabe“, sagt Uta Plate, „wäre mir für ein solches Projekt sicher zu wenig. Ich habe ebenso versucht, die einzelnen Lebensgeschichten surreal zu brechen.“

In kreisähnlicher Formation stehen die Jugendlichen auf der Bühne und wiederholen immer wieder die gleichen Sätze: „Du bist wie deine Mutter.“ – „Räum die Bierflaschen weg.“ – „Was soll aus dir nur werden?“ Ein Reigen aus pädagogischen Floskeln und verbalen Missachtungen, der die Jugendlichen schließlich dazu bringt, von zu Hause abzuhauen.

Die Ideen für solche Szenen waren sehr schnell gefunden. „Ich hab die Teilnehmer einfach gebeten, irgendeine Geschichte aus ihrem Leben aufzuschreiben, die ihnen wichtig war“, sagt Uta Plate. Für die einzelnen Erlebnisse hat sie anschließend nach szenischen Umsetzungsmöglichkeiten gesucht.

Zwar stand für die Gruppe von Beginn an fest, dass sie diese biografische Collage auf die Bühne bringen wollte, doch in der gut sechsmonatigen Vorlaufzeit standen nicht nur Proben, sondern immer auch die Emotionen der Teilnehmer im Mittelpunkt. „Sicher kamen da manchmal sehr private Gefühle wieder hoch“, sagt Uta Plate, „doch letztlich hat jeder selbst entschieden, wie viel er von sich selbst preisgeben wollte.“

Für den Zuschauer aber wird die Vorspiegelung der absoluten Authentizität bis zum Ende gewahrt. „Manchmal hilft es eben, wenn man Elend sieht“, heißt es in dem professionell gespielten Stück einmal doppeldeutig. Bei solchen Sätzen treten alle theaterpädagogischen Konzepte in den Hintergrund. Der Zuschauerraum wird zu einem Ort für Voyeure, die im Theater die gleiche Neugier stillen können wie vor dem Fernseher. Das Drama als Reality-Soap.

RALF HANSELLE

„Freundschaft“ ist das nächste Mal am 18. Juni beim Jugendtheaterfestival „1000 Jahre – 1000 Geister“ in der „Pumpe“, Lützowstraße 42 zu sehen.