Denkmalpoker mit allerlei Kartentricks

Denkmalschutz ist Ländersache. Daher erregt es Aufmerksamkeit, wenn Berliner Politiker sich des Themas annehmen. Antje Vollmer, die kulturpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, will die Denkmalpflege nun entstaatlichen und macht sich dabei für eine plebiszitäre Kür des Schönen stark

von IRA MAZZONI

Das ist kein Spiel. Der Einsatz ist hoch. Es wird mit verdeckten Karten gereizt. Und am Ende soll alles nur ein Bluff gewesen sein? Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man die Denkmaldebatte verfolgt, die die Kultursprecherin der Grünen, Antje Vollmer, entfacht hat. Denkmalschutz ist Ländersache. Schon deswegen erregt es Aufmerksamkeit, wenn Berliner Politiker sich des Themas annehmen. Erst recht, wenn sie an den Fundamenten der Institution rütteln. „Kann die Denkmalpflege entstaatlicht werden?“, wollte Vollmer wissen und beauftragte den Architekturkritiker Dieter Hoffmann-Axthelm mit einem Gutachten. Und Axthelm lieferte eine flammende Streitschrift gegen die angeblich „autoritär organisierte, rechthaberische, diskussionsunfähige Denkmalpflege“, die dem Bürger willkürlich unliebsame Bauwerke zumutet, Planer behindert, Nutzer mit strengen Auflagen drangsaliert und für eine maßlose Ausweitung des Denkmalbegriffs sorgt. Schulen, Bäder, Krankenhäuser, Fabriken und Siedlungen, Bauwerke der Moderne, Monumente der deutschen Diktaturen, Zeugnisse des Wiederaufbaus, Kinos, Garagen, Sportanlagen, ja selbst Plattenbauten unter Schutz zu stellen hält Axthelm für absurd. Solche Architektur interessiere doch nur Spezialisten. Anstelle des Geschichtswertes will der Autor allein den Kunst- und Alterswert setzten. Letztlich gebe es für den Denkmalwert kein „unmittelbareres Maß“ als Schönheit. Unmittelbarkeit ist das Stichwort, das Reformmodell läuft auf eine konsensfähige Denkmalpflege hinaus. Eine plebiszitäre Kür der Schönen. Dabei werden justiziable Sachargumente durch Affekte einer undefinierten Allgemeinheit ersetzt.

Wie soll nun der Denkmalschutz privatisiert werden? Axthelm hat ein neoliberales Reformpaket geschnürt: In staatlicher Obhut sollen die Großdenkmäler im öffentlichen Besitz und einige ehrwürdige Antiquitäten bleiben. Zurück zur Kultur der Nationalmonumente. Ferner soll sich eine nationale Stiftung um den attraktiven Teil des Denkmalbestandes in Kirchen und Privatbesitz kümmern. „Denkmäler – touristisch attraktiv, Brennpunkte historischer Selbstverständigung, Maßstäbe des Schönheitsempfindens, Meilensteine der Kultur, erlebbar, fassbar, brauchbar.“ Alle Bauwerke, die nach 1840 entstanden sind, vor allem aber der Wohnungsbau, der keine namhaften Architekten als Urheber hat, sollen gänzlich entbunden werden. Baufreiheit für freie Bürger.

Das Manifest hat sein Ziel erreicht. Rechtzeitig zum 100sten Jubiläum des Treffens der Landesdenkmalpfleger hat es bundesweit heftige Reaktionen in den Feuilletons ausgelöst, und Frau Vollmer konnte sich mit einem neuen, bisher völlig randständigen Thema positionieren. Inzwischen suchen führende Denkmalschützer das Gespräch mit der Politikerin. Schadensbegrenzung ist angesagt. Schon werden die Töne milder. In dem von Vollmer erarbeiteten 12-Thesen-Papier ist von einer Radikalreform, gar von Entstaatlichung keine Rede mehr. Statt dessen die Versicherung, Denkmalschutz sei wie der Naturschutz selbstverständlich Anliegen der Grünen. Doch wenn leere Staatskassen das Argument dafür sind, „spätestens jetzt eine umfassende, offene und tabufreie Debatte“ zu führen, „wie der Denkmalschutz der Gegenwart und Zukunft aussehen soll“, ist Vorsicht geboten. Vom Pult des Bundestags aus lässt sich ein Auswahlverfahren nicht erörtern. Und mit dem Feindbild doktrinärer Denkmalpfleger lässt sich auch nicht „tabufrei“, „in Augenhöhe reden“, wie Vollmer vorgestern in der FAZ forderte. Verbesserte Dialogbereitschaft zu fordern ist billig. Und Denkmalräte, die es bereits gibt, als Vermittlungsinstanz in Streitfällen zu empfehlen zeugt einmal mehr von mangelndem Sachwissen.

Sollte die Denkmaldebatte ernsthaft weitergeführt werden, müssten Vollmer und Axthelm zunächst ihre historischen Prämissen überprüfen. Da spielen sie mit dem uninformierten Bürger mit gezinkten Karten und trumpfen mit einer unkontrollierten Denkmalexplosion auf. Die Kategorien haben sich nicht seit der Wende „unter der Hand“ verändert. Das Denkmal wurde von Beginn an als steinernes Zeugnis der Vergangenheit geschützt. Ob in Frankreich oder in Deutschland, Denkmalschutz diente im 19. Jahrhundert der nationalen Selbstvergewisserung, es war „politische Erinnerungskultur“ und auch bisweilen plumpe „Volkspädagogik“. Wenn Vollmer in der FAZ bedauert, „der kulturelle Aspekt“ trete heute zurück, dann muss man fragen, was denn für sie Kultur bedeutet. Industriekultur scheint nur bedingt dazu zu gehören, obwohl sie nun über 200 Jahre unsere Gesellschaft in allen Bereichen geprägt hat. Dem zahlenden Bürger werden Schreckgespenster von „Industriedenkmälern in gewaltiger Zahl und gigantischem Umfang“, die zu pflegen wären, vor Augen gestellt. Oberschöneweide, Bitterfeld, Vockerode! Doch wer die Orte kennt, weiß, was dort bereits alles abgeräumt wurde. Von Bitterfelds Geschichte blieben Marginalien. Abriss und Planierung waren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Auch in Vockerode liegen die Abrissanträge bereits vor.

Geschichtsdenkmäler nach zehn Jahren zur Disposition zu stellen, falls sie gesellschaftlich noch nicht akzeptiert sind, wie Vollmer jetzt vorschlägt, ist schierer Wahnsinn. Zehn Jahre Wiedervereinigung zeigen, dass noch immer nicht zusammengewachsen ist, was zusammengehört. Geschichte hat einen längeren Atem. Beim Denkmalschutz geht es aber um Langzeitspeicher, die anders als staubige Akten, versprödende Filme und unlesbare Disketten für jedermann jederzeit erfahrbar sind. Die Leute wollen „Geschichte zum Anfassen“. Es geht also darum, dass die Politik den Denkmalschutz als öffentliches Anliegen wieder ernst nimmt, statt ihn zu demontieren.