Artsy Drauflosbaldovern

Mit der französischen Beat-Band Dionysos macht L'Age D'Or weiter in provinzieller Internationalisierung  ■ Von Hartwig Vens

Unter dem Motto „Deutsche Popmusik muß nicht blöd sein“ war das Hamburger Label L'Age D'Or vor mehr als zehn Jahren angetreten, lokalen Acts einen selbstverständlichen Platz in der inländischen Unterhaltungskultur zu einzurichten. Das hat man inzwischen bekanntlich geschafft und so schweift Firmenchef Rautenkrantz seit geraumer Zeit über den Horizont territorialer und sprachlicher Grenzen hinaus auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Der anglo-amerikanische Kulturkreis will erobert werden, deswegen haben Tocotronic unlängst ihr Album KOOK noch einmal mit englischen Texten aufgenommen und sind zusammen mit Stella durch die Staaten getourt.

Aber auch umgekehrt wird am Projekt Internationalismus gearbeitet. Bands und Musiker aus aller Herren Länder sollen in den Hamburger Labelhafen einfahren und dem Katalog des künftigen Global Players den polyglotten Zug verleihen. Man munkelt da von größeren Transfers, fantastischen Ablösesummen, legendären Typen. Vorerst haben die Sondierungen mal kleinere Früchte getragen. Als erste Band aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland hat L'Age D'Or das aus dem französischen Örtchen Valence stammende Quintett Dionysos verpflichtet. Und diese Wahl wurde wohl kaum zufällig getroffen. Dionysos nämlich, weisen so ziemlich alle Elemente auf, die auch das Profil des Lado-Katalogs schon immer bestimmt haben: einen leichten Provinzialismus, der immer auch in dem Hamburger Schule genannten lokalsozialen Bezugsrahmen, der zum Ausdruck kam, hatte Lado doch immer mehr mit den Großstadtträumen zugezogener Sehnsüchtler zu tun als mit Sex, Dreck und Dunkelheit. Dem entsprach eine Achtziger- Noise-Pop-Verwurzelung mit Referenzen an U.S. und U.K. gleichermaßen.

Dionysos sind so mehr der klassischen Lado-Schiene verpflichtet als den neueren Inspirationen von elektronischer Tanzmusikelemente. Die Band ist deutlich am romantisch-melodieakzentuierten Songwriting Britanniens orientiert, klebt ziemlich vollständig an Sixties-Beat-Muster, weiß aber diese Limits mit Verve und Tempo zu kompensieren. Wreckless Eric, Nick Drake und allerlei andere verkannte britische Songwriter-Exilanten scheinen in Frankreich eine untilgbare Spur hinterlassen zu haben. Der Geist von Romantik und Sehnsucht gepaart mit Beatband-Rebellentum – von dieser Sorte Mixtur werden wohl noch drei Generationen französischer Bands zehren.

Dionysos singen mal französisch mal englisch und wenn letzteres der Fall ist, dann mit so starkem Akzent wie damals bei Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs. Auch hier also Parallelen zur Frühphase des Lado-Programms. Haäku, Dionysos Ende Mai erschienenes Lado-Debut, ist insgesamt bereits ihr drittes Album. Dort dominieren leichtfüßige Unbefangenheit, inspirierter Spieltrieb und Furchtlosigkeit vor dem Hymnischen. Sehr oft sorgt ein gewitzt eingesetzter Synthesizer mit allerlei Geräuschen für eine Atmosphäre psychedelischer Unernsthaftigkeit.

Überhaupt stellen sie Einfallsreichtum bei Arrangement und Soundauswahl derartig heraus, daß es fast schon Schlaumeier-Alarm gibt. Darin den amerikanischen Veteranen Flaming Lips nicht unähnlich, die mit tollen Songs, sinnfreier Kreativität und studiotechnischem Experimentalismus gerade ihren dritten Frühling erleben. Flaming Lips und Dionysos eint außerdem ihre Vorliebe für an den Haaren herbeizogene Texte. Erste Zeile des Eröffnungstitels „Nicholsong“ (sic!): „Christmas trees are eating the pavement / The pavement is eating old ladies. Ein Metapherngelage verstiegen-überschnappender Ausbrüche, Phantasiegelüste voller Farben, Spiel und Üppigkeit. Ohne Sinn und Verstand artsy Drauflosbaldovern. Mit dieser Melange werden Dionysos dem Knust ein höchst flippiges Symposion bereiten.

So, 18. Juni, 21 Uhr, Knust