Spaßdiskurs zum Mitwippen

Satire im Wohnzimmer: „Keiner läuft Amok“ im Lagerhaus / Wie unterschiedliche Formen des Umgangs mit Ironie aufeinander treffen, ohne sich gegenseitig zu behindern

Haben Sie das rote Einhorn schon gesehen, das gegenüber der Kunsthalle am Baum hängt? Dazu kommen wir später. Was die Autoren des Suhrkampbändchens „Sprachen der Ironie, Sprachen des Ernstes“ uns vorenthielten, wurde am Freitag im Lagerhaus nachgereicht. „Die Lage ist ernst. So kursieren Gerüchte, dass Jürgen Habermas und Ernst Tugendhat ihren eigenen Selbstmord planen.“ Wer hätte das gedacht.

Nun steht Selbstmord dem Titel des Abends diametral entgegen, der da lautet: Keiner läuft Amok. Oder eigentlich passt er genau dahin. Dass man's nicht so recht entscheiden kann, hängt damit zusammen, dass im Falle der Satire Gesagtes und Gemeintes nicht zwangsläufig sich decken. Denn: Bedeutet „Keiner läuft Amok“ nicht gerade, dass es zu einer solchen Handlung mehr Anlässe gibt, als einem lieb sein kann? Um es gleich zu verraten, dieser Abend war keiner, kein Anlass zum Amoklauf.

Das liegt vor allem daran, dass die Veranstalterinnen von „Wortschwimmer“, einem Projekt des „arbeitskreises zur förderung junger künste“ ein Programm zusammengestellt haben, in dem unterschiedliche Formen des Umgangs mit Ironie/Ernst aufeinander trafen, ohne einander zu behindern. Von Collagen (Heike Nitschner) zu 'klassischen' Satiretexten (Hans-Martin Sänger); vom film noir-Fake (herzerweichend vorgetragen von Bruno Kallipso) über Slampoetisches (aus den Federn von Marco Chiu und Alexander Schnakenburg) zur postsatirischen szenischen Lesung. Alles im netten Wohnzimmerpop-Ambiente. Mit Kerzen und Gläsern auf den Tischen, mit viel Dunkel und einer Reihe gut amüsierter Menschen.

In dieser Gemütlichkeit das erste Highlight. Dass mit Heike Nitschner eine Frau erfreute, die derzeit ihr Studium an eben jener Universität im Oldenburgischen beendet, die just am heutigen Montag Ihro Merkwürdigkeit Richard Rorty ehrt, ist eine schöne Koinzidenz. Der schrieb eines der wichtigsten Bücher zu Ironie und Postmoderne. Mit Letzterer plagen sich Nitschners schlicht „Ich“ genannte Figuren herum. Das ganze ist mit „Normatives Urteilen und Handeln in der Postmoderne: oder: 'Der böse kleine Wurm in uns'“ überschrieben und zeiht nicht nur genannte Koryphäen deutschen Geistes der Selbstmordgedanken, sondern präsentiert auch Willi, ja, den von Biene Maja, der „den Sei-vorsichtig-wenn-du-in-dich-hinein-guckst-Knüppel abgekriegt“ hat, den delirierenden Gott. Und erschießt mit Jean-Francois Lyotard einen französischen Meisterdenker. Eine beeindruckende One-woman-show, die mit dem Etikett 'Satire' nicht hinreichend zu qualifizieren, aber trotzdem (oder gerade darum) saukomisch ist.

Der „arbeitskreis zur förderung junger künste“ hat sich zum Ziel gesetzt... aber das sagt der Name ja schon. „Keiner läuft Amok“ war die dritte größere Abendveranstaltung innerhalb eines Jahres. Es gelang, den Grundgedanken, nämlich Leute zu präsentieren, die erst am Anfang stehen, damit auch Unausgearbeitetes, zuzulassen, in Atmosphäre zu überführen. Hinsetzen, Bier trinken, zuhören. Ohne Verlegenheit, fehlende Perfektion mittels eines Idiotenbonus' wettmachen zu müssen. Sicher sind nicht alle Texte gleichermaßen überzeugend, ist die Inszenierung des Abends nicht so perfekt wie im Stadttheater mit einem Dutzend Bühnentechnikern. Aber was sagt das schon? Die Organisatorinnen sind 'ihren' KünstlerInnen nah; das setzt selbstloses Engagement voraus.

Pausenmusik von „Halifax“. Wie die Stadt wohl aussieht, die den Namen gab? Hamburg ist es nicht. Folgerichtig heißt eines ihrer Stücke auch „Wir sind hier nicht in Hamburg...“ Das ist schade. „Svevo“ nannten eines ihrer Alben „Eher uncool“. Vielleicht sollten „Halifax“ der 'Hamburger Schule' doch mal einen Besuch abstatten, nachschauen, wie man richtig schöne uncoole Musik macht.

Anyway, zum Fußwippen reicht's, O.K. Wir lernen noch, was die Schlange Adam auf den paradiesischen Anrufbeantworter sprach. Auch so 'ne unterschlagene Information der Weltgeschichte. Und wir müssen einmal mehr Hammers „Miami Vice Theme“ über uns ergehen lassen. Doch die Mühsal lohnt. Denn Bruno Kallipso entschädigt mit einer (etwas zu lang geratenen, doch sehr schönen) Detektivgeschichte. Chandler on Speed mit einer Prise „Ghost Dog“.

Kallipso und Nitschner schließen mit einer kauzigen INXS-Coverversion. Ob Satire noch subversiv ist oder schon immer affirmativ war, konnte dieser Abend nicht klären. Wollte er auch gar nicht. Diese Offenheit muss man aushalten. Zum Schluss das Einhorn: Die ganze Zeit saß einer auf einer „Blauen Leiter“, Sie verstehen? Dann denken Sie mal drüber nach. Gute Unterhaltung.

Tim Schomacker