Mit dem Image des Ost-Malochervereins

Steigt Union auf, ändert sich im Verein einiges. Was den Präsidenten freut, finden die Fans noch lange nicht gut, die die Westedelklubs verabscheuen

In der „Abseitsfalle“, der Fankneipe des 1. FC Union Berlin, gibt es links an der Wand eine Speaker's Corner. Das ist eine Art Pinnwand, auf der können die Fans ihre Meinung loswerden. Auf den Zetteln ist viel von Tradition die Rede.

Der rasante Aufstieg von Hertha BSC wird als „gekaufter Erfolg“ bezeichnet. Und neulich war hier folgende Notiz zu lesen: „Als Arbeiter bin ich gezwungen, auch mal in Malocherklamotten im Stadion aufzutauchen. Dies wird mir aber von einer selbstherrlichen Sicherheitstruppe verwehrt. Bin ich jetzt gezwungen, wie bei TeBe mit Anzug zu kommen?“

Union Berlin hofft auf den Aufstieg. Einiges wird sich ändern. Die Fans befürchten eine Entwicklung, die Union, den Arbeiterverein aus Köpenick, von seinen Ursprüngen entfremdet. Noch aber unterscheidet sich der Klub von den millionenschweren Profiklubs aus dem Westen der Stadt.

Vor allem mit den Leuten vom „Mommsenfriedhof“, wie das TeBe-Stadion hier genannt wird, verstehen sich die Unioner überhaupt nicht.

Ein prall gefüllter Geldbeutel, viel zu viele ausländische Spieler, aber keine Fans – das verabscheuen sie beim 1. FC, einem Verein, der großen Wert auf seine Bodenständigkeit legt.

Das Dumme ist nur: Nüchtern betrachtet ist der 1. FC Union Berlin – die verrückte Fangemeinde ausgeklammert – von den beiden Westvereinen nicht mehr so weit entfernt.

Der Fußballklub mit seinen gerade mal 1.400 Mitgliedern hat einen Sponsor (Kinowelt AG), der seit 1998 15 Millionen Mark in den Verein investiert hat. Er hat einen Etat von 9,5 Millionen Mark, der in der Zweiten Liga auf mindestens 13,5 Millionen Mark anwachsen wird. Er hat einen Kader, in dem kaum Berliner Kicker stehen.

Und er hat einen Präsidenten, der sagt: „Im Fußballgeschäft gibt es keine Solidarität. Hier regiert die Marktwirtschaft in ihrer rigidesten Form. Man muss da einfach mitmachen.“

Der eiskalte Wind des Wettbewerbes fegt auch durch das Stadion „An der Alten Försterei“. Einige Fans bei Union sind von dieser Herrschaft der Krawattenträger und Bilanzfanatiker irritiert und wünschen sich „familiäre Verhältnisse“ zurück, wie sie an der Pinnwand schreiben. Daniel Lange (19) beispielsweise ist „erschrocken“ darüber, dass sich sein Verein „ohne jegliche Gegenwehr den Mechanismen des Profifußballs aussetzt“. André Rolle, 43 Jahre alt, befürchtet, dass Union seine „soziale und psychologische Funktion“ nicht mehr erfüllen kann. Andere sind einfach enttäuscht darüber, dass der Präsident sein Wort nicht gehalten hat.

Vor zwei Jahren hat Bertram versichert: „Wir wollen eine Mannschaft von jungen Spielern aus Berlin und der Region. Kein Modell TeBe.“ Wer Bertram heute darauf anspricht, bekommt zu hören: „Was wollen Sie denn? Wir sind Meister!“

Mit solchen Einwänden beschäftigt sich der Präsident nicht gern. Bertram, der vor zwei Jahren den Posten bezog, um schwarze, nicht rote Zahlen in die Finanzbücher zu schreiben, will in Berlin ein zweites 1860 München schaffen.

Dabei steht die große Mehrheit des Vereins hinter dem seriösen Macher und vor Problemen, die jenseits von Vergangenheitsbewältigung und der Sehnsucht nach Heimeligkeit liegen.

Sicher: Union muss profifußballtaugliche Spieler verpflichten, aber das ist leichter gesagt als getan. Einerseits ist der Trainer, Georgi Wassilev (59), ein sehr kritischer Mann, der zwar viele Spieler beobachten lässt, aber nur sehr wenige wirklich haben möchte.

Auf der anderen Seite soll der Kandidat nicht nur den richtigen Pass spielen, sondern ihn auch haben. Die Fans revoltierten etwa, als Kapitän Jörg Schwanke verkauft werden sollte. Die Maßgabe ist: Für die neue Saison sollen nicht mehr als zwei ausländische Spieler eingekauft werden. „Wir wollen eine deutsche Mannschaft bleiben“, sagt Bertram.

Schließlich muss Union aufpassen, dass Wassilev in der nächsten Saison noch in Köpenick arbeitet. Der Erfolg des „Happel vom Balkan“ hat sich herumgesprochen, wie man hört, sogar bis Dortmund. Zwar steht der Bulgare bei Union noch unter Vertrag, aber dieser Vertrag ist nicht sonderlich gut dotiert, schon gar nicht für einen Meistermacher.

Niemand dürfte es wundern, wenn Wassilev andere Angebote annehmen würde. Präsident Bertram sagt dazu: „Wir müssen im Teich mit den wilden Hechten zurechtkommen.“

In der „Abseitsfalle“ macht so ein Satz Angst. Da hilft auch keine Pinnwand, auf der man sich Luft verschaffen kann.OLIVER WEGNER