Ganz Eritrea steht mit Gewehr an der Front

Äthiopien erklärt den Krieg gegen Eritrea für siegreich beendet. Aber Eritrea erwartet jetzt einen langen Kampf

ASMARA taz ■ Wer glaubt, dass Eritrea heute ein militärisch besiegtes Land sei, hat sich getäuscht. Die eritreische Armee habe sich aus taktischen Gründen zurückgezogen, sei aber noch voll kampffähig, ist einstimmig von offizieller Seite wie von normalen Leuten zu hören. Seit der erste Schock über Äthiopiens Blitzvorstoß in den Westen Eritreas vor zwei Wochen verklungen ist und klar ist, dass die äthiopische Armee nicht ins Hochland und damit nicht nach Asmara vordringen kann, hat Eritrea wieder Oberwasser bekommen.

Die Straßen der ohnehin schläfrigen Hauptstadt Asmara sind wie leergefegt. Zu sehen sind nur alte Leute, spielende Kinder und jene Frauen und Mädchen, die sich nicht freiwillig zum Militärdienst gemeldet haben. Der große Rest ist an der Front oder patrouilliert nachts in Uniform. Die Universität und die Gymnasien sind geschlossen, die Schüler sind im Kampf. Nur weil die im Lande verbliebenen Äthiopier die körperliche Arbeit verrichten, ist die eritreische Wirtschaft noch nicht zusammengebrochen – neben den Überweisungen der rund 500.000 Auslandseritreer, die jährlich mehrere hundert Millionen US-Dollar schicken. „Wir können das solange durchhalten, wie es nötig ist“, sagt Goytom Wolde-Mariam, Abteilungsleiter im Finanzministerium und ehemaliger Botschafter in Deutschland.

Äthiopien hat zwar jetzt erklärt, aus seiner Sicht sei der Krieg beendet. Aber wenn man Präsidentenberater Yemane Gebremeskal glaubt, befindet sich die eritreische Armee im Westen nun sogar auf dem Vormarsch. „Die äthiopische Behauptung vom Montag, dass sie sich aus Barentu zurückgezogen hätten, ist falsch“, sagte er der taz. „Die Ankündigung des äthiopischen Ministerpräsidenten vom Mittwoch, dass für Äthiopien der Krieg nun beendet sei, ist nicht ernst zu nehmen. Er will doch nur Zeit schinden, um seine Armee umzugruppieren. Die Politiker wollten weiter kämpfen, aber die Armee befindet sich in Auflösung.“

In Asmara ist es schwer, jemanden zu finden, der nicht diese kämpferische Stimmung teilt. Uni-Dozent Sebhad Tewalde sagt: „Für uns ist das alles nicht neu, denn wir haben 30 Jahre Unabhängigkeitskrieg erlebt. Die Äthiopier sind auf schnelle Erfolge aus, aber es wird sich erst noch zeigen müssen, wer den Krieg gewinnt.“ Und sein neben ihm sitzender Kollege sekundiert: „Äthiopien fordert die Begrenzung der Zahl der Soldaten in der eritreischen Armee? Da kann ich ja nur lachen. Jeder Eritreer ist Soldat.“

Dieser Tonfall lässt für die im Augenblick in Algier stattfindenden indirekten Friedensgespräche nichts Gutes erhoffen. Nach außen dringt, bisher habe man dort nur Vorgespräche geführt, und man muss wohl als Erfolg werten, dass sie noch nicht abgebrochen worden sind, so wie die letzten Anfang Mai.

Aber trotz all der geschickten Interpretationen der Regierung ist klar, dass Eritrea sich aus den bisher umkämpften Gebieten zurückziehen musste. Und daran, dass die Eritreer die Entbehrungen leid sind, die der zweijährige Krieg mit sich gebracht hat, kann kein Zweifel bestehen. Es scheint deshalb auch nicht weiter verwunderlich, dass ein Beobachter innerhalb der regierenden Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF) „leise Kritik“ an Präsident Isaias Afewerki festgestellt haben will. Aber was heißt das in einem Land, in dem es keinerlei unabhängige Medien noch irgendeine Oppositionsgruppierung gibt? Noch ist nicht abzusehen, dass die alten Guerillakriegsveteranen in der EPLF ihr Machtmonopol verlieren.

PETER BÖHM