Ferienlandschaft mit Jungbrunnen

Zwischen Pavillons und Themenpark, Heterotopie und großem Spektakel: Die Expo 2000 ist eine Kreuzung aus klassischen und innovativen Inszenierungsmodellen. Der Trend geht zum Wahrnehmungsreiz. Dabei bleibt die Idee des offenen Ausstellungsdiskurses auf der Strecke

von CHRISTOPH ASENDORF

Hannover hat eine Messe AG, von der am Ende der Achtzigerjahre die Impulse ausgingen, die zur Millenniums-Expo führten. Ursprünglich dachte man allerdings nur an eine Auffrischung des eigenen Messestandortes, zum Beispiel mit einer Ausstellung zum Thema „Mensch, Natur, Technik“, die den klassischen Typ der Industriemesse zeitgemäß ergänzen sollte. Erst als sich die Frage nach einer angemessenen Präsentationsform stellte, entstand die Idee einer Weltausstellung. Dafür musste die Bundesregierung bemüht werden, die ihrerseits einen Antrag bei der Pariser Weltausstellungszentrale zu stellen hatte. Hannover erhielt schließlich im Juni 1990 den Zuschlag vor Toronto – mit nur einer Stimme Mehrheit, die vermutlich von der DDR unter der Regierung de Maizière kam. Wirklich entschieden aber wurde die Angelegenheit erst zwei Jahre später durch die Bürger der Stadt, die sich mit knapper Mehrheit für die Expo aussprachen.

Dieses lange politische Gezerre hatte allerdings die Frage in den Hintergrund treten lassen, was denn tatsächlich gezeigt werden solle – und ob man sich in die Tradition der Weltausstellungen stellen oder etwas Neues versuchen wollte. Für die Expos des 19. Jahrhunderts fand Walter Benjamin die schöne und deswegen auch oft zitierte Formel, dass sie „Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware“ gewesen seien. Vielleicht mehr noch als der Londoner Kristallpalast von 1851 verkörperte das Pariser Gebäude 1867 die ursprüngliche Vision, nämlich mit solchen Ausstellungen ein Bild von der Welt im Zeichen der Globalisierung zu geben. Man baute ein Oval aus sieben konzentrischen Galerien, das, wie sich ein Besucher erinnerte, in zwei Richtungen durchlaufen werden konnte: „Ging man von außen nach innen, so übersah man die gesamte Industrie des betreffenden Landes; bewegte man sich in dem Ringe, so hatte man die gleichen Industrien aller ausstellenden Länder hintereinander in klarer Übersicht.“ Das war nicht nur ein intelligentes Ordnungssystem, sondern eben auch ein Symbol der Erdkugel und des friedlichen Zusammenwirkens der Völker unter der Integrationsmacht der großen Industrie.

Superstruktur oder Orte außerhalb aller Orte

Natürlich ließ sich ein solches Konzept nicht einmal auf dieser symbolischen Ebene durchhalten; die Konfrontation des deutschen und sowjetischen Pavillons 1937 und später, im Zeichen des kalten Krieges, das Gegeneinander der Pavillons der USA und der UdSSR belegen dies deutlich genug. Dennoch galt das universalistische und auf beständigen Fortschritt fixierte Grundkonzept bis zur Expo 1970 in Osaka, die zum Höhepunkt der technologischen Fantasien im Space-Age werden sollte. Das alles dominierende Bauwerk war der Themenpavillon von Kenzo Tange: Ein Raumtragwerk von 108 mal 292 Metern – ein begehbares Dach über einer ausgedehnten Freifläche, das nach oben hin durch transparente Luftkissen abgeschlossen wurde und einen Festplatz sowie diverse Ausstellungsräume zu Themen der Menschheits- und Naturgeschichte beschirmte – ein Vorläufer fast von Fosters erstem Berliner Reichstagsentwurf. Gedacht aber war es von Tange als kleinster Teil einer metabolistischen Superstruktur, die gegebenenfalls auch über bestehende Städte hätte hinweggezogen werden können.

Doch der Glaube an die unbeschränkte Modellierbarkeit der Welt zerfiel in den Siebzigerjahren, als die Grenzen des Wachstums immer deutlicher wurden. Auch für die Veranstalter von Weltausstellungen konnte das Bezugssystem „Industrie und Fortschritt“ nicht mehr uneingeschränkt gültig bleiben. Wonach aber sollten sie sich dann ausrichten? Eine radikale Alternative wäre eine Expo nach dem Modell von Foucaults „Heterotopien“ – nicht mehr eine Feier der industriellen Realität also, sondern die Inszenierung von Räumen jenseits von ihr; nicht mehr der homogene Raum, sondern einer mit überraschenden Qualitäten. Für Foucaults „Orte außerhalb aller Orte“ lassen sich durchaus Beispiele finden. Theater, Kinos und Landschaftsgärten etwa sind insofern Heterotopien, als sie an einem Ort mehrere Räume, mehrere Funktionen zusammenführen. Gegenüber dem gegebenen Raum kann das eine kompensatorische Funktion haben, indem etwas geboten wird, was in ihm nicht vorhanden ist. Eine Weltausstellung nach diesem Prinzip würde weniger das ausstellen, was ist, sondern eher das, was vielleicht sein sollte.

Die Macher von Hannover scheinen etwas von dieser Versuchung verspürt und doch zugleich erkannt zu haben, dass sie so die angestammte Aufgabe einer Expo aufgeben würden. Also verfuhren sie (sieht man von dem in der Struktur konventionellen Kulturprogramm ab) zweigleisig: mit Pavillons der Nationen und einem inszenierten Themenpark. Sind die Pavillons für sich auch ein überkommenes Element, so boten sie doch im Einzelfall schon auf früheren Expos die Möglichkeit experimenteller Präsentationen. Im deutschen Pavillon für Barcelona 1929 etwa verzichtete Mies van der Rohe ganz auf ausgestellte Objekte und machte den Bau selbst zum Objekt; auch Le Corbusier zeigte in seinem Philips-Pavillon von 1958 nicht Firmenprodukte, sondern versuchte am Beginn des stereophonen Zeitalters mit seiner Bild- und Toninstallation „Poème Electronique“ das Potenzial der neuen Technologien zu demonstrieren.

Einige (wenige) Bauten setzen in Hannover diese Tradition fort, und dies gilt besonders für den niederländischen Pavillon vom Büro MVRDV. Als wäre es das Ziel gewesen, Rem Koolhaas’ Planungsstrategie einer „culture of congestion“, einer Kultur der Gleichzeitigkeit und Überlagerungen, auf spektakulärste Weise zu veranschaulichen, sind hier geschossweise heterogene Landschaften übereinander gestapelt – die Besucher werden vom See auf dem Dach über Veranstaltungssäle und Waldzonen bis nach unten in eine künstliche Dünenlandschaft geführt – eine Vervielfältigung von Nutzungsmöglichkeiten auf begrenzter Grundfläche.

Dieser Pavillon ist in gewisser Hinsicht ein Zwitter; die Schichtung künstlicher Environments weist inszenatorische Qualitäten auf, wie sie weniger für die herkömmlichen Nationenpavillons mit ihren Warengebirgen, sondern eher für den Themenpark charakteristisch sind. Und dieser Themenpark ist, zumindest vom Anspruch her, das eigentlich Neue auf der Expo. Erstmals liefert der Veranstalter selbst einen Beitrag. Mit elf Einzelausstellungen soll (in Übereinstimmung mit der Agenda 21, dem Handlungsprogramm der UNO für das laufende Jahrhundert) das zukünftige Zusammenleben der Menschen erfahrbar gemacht werden. Hier kommt eine neue Gattung von Ausstellungsgestaltern ins Spiel, nämlich die der so genannten Szenografen, die an einer Verschmelzung von Techniken des Theaters und des Ausstellungswesens arbeiten.

Szenografisches Spektakel statt Diskurs

Die Idee dabei ist, „Räume so zu inszenieren, dass Inhalte durch gestalterische Mittel deutlicher und prägnanter in ihrer Wirkung und damit in der intendierten Aussage sind“ – so Martin Roth, Leiter des Themenparks, im vorzüglichen Expo-Heft der Architekturzeitschrift Arch+. Leichter gesagt als getan. Probleme wie, sagen wir, die Zukunft der Arbeit in eine Art Bühnenbild zu transponieren, ist nur über eine Vereinfachung möglich, die dann wieder durch visuelle Prägnanz ausgeglichen werden muss.

Am Themenpark beteiligen sich unter anderem die Architekten Jean Nouvel und Toyo Ito; als Szenografen bescheiden sie sich mit den neutralen Boxen der Messehallen, in die hinein sie ihre Inszenierungen stellen, mit denen aus „dark rooms“ leuchtende Illusionsräume werden. Dabei greift Nouvel in seiner Szenografie für das Thema „Mobilität“ auf die alte Form des Panoramas zurück, die er aber mit neuesten Projektionstechniken kreuzt – im Ergebnis ein dreidimensionaler Bildraum, der als „längstes Kino der Welt“ angepriesen wird. Allerdings erfährt man bei derartigen Projekten kaum etwas, was man nicht schon vorher wusste und das etwa über die Forderung nach einer „ressourcenschonenden Mobilität“ hinausginge. Das Interesse liegt eher, und das ist ja auch nicht ganz gering zu schätzen, in der Darbietung spektakulärer Wahrnehmungsreize, auf der Seite der Inszenierung also.

Doch damit unterläuft die Expo ihren eigenen Anspruch. Sie richtet sich nicht wirklich aus an dem, was beispielsweise die Berliner Ausstellung „7 Hügel“ versucht, nämlich „Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts“ zur Diskussion zu stellen. Die Expo hat ihren Ort stattdessen irgendwo zwischen dem Urlaubsort „Land Fleesensee“ und der „Autostadt“ in Wolfsburg, einer künstlichen Ferienlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern also und der Selbstdarstellung des VW-Konzerns in Form eines Entertainment-Centers: zwei gewaltigen und teuren Illusionsmaschinen, die fast gleichzeitig mit ihr den Betrieb aufnehmen.