Das Donnerflittchen

Eine barsche, schlagfertige, verplapperte, eigensinnige Schauspielerin hat Geburtstag: „Donnerlittchen – Inge Meysel 90 Jahre“ (21.05 Uhr, ARD)

von MONIKA GOETSCH

Auf Kommando viel zu fühlen ist bekanntlich nicht leicht. Also empfiehlt Producer Tim Lange die Kontemplation: „Eine ganz atmosphärische Sache“ soll diese Sendung sein, sagt er zwischen goldenen Sternschnuppen und all den langbeinigen Damen, die im Studio Hamburg in der ersten Reihe sitzen dürfen: „Gehen wir in uns und überlegen, was es bedeutet, 90 Jahre alt zu sein.“

Die Galagäste betrachten die Weinflaschen in den Silbereimern vor sich und überlegen. 90 Jahre. Was für eine Zeit!

Und Regisseur Heinz Lindner wünscht sich für „die kleine, große Frau, die gleich durch diese goldene Tür treten wird, Standing Ovations“. Und die Gala läuft, aufgezeichnet zwölf Tage vor ihrem 90. Geburtstag, den sie heute ganz unspektakulär mit Familie feiern will.

„Nun hört doch schon auf“, ruft sie ungeduldig, wie sich das für eine echte Meysel gehört. Das Publikum lacht und lässt sich in die Sitze plumpsen, und die Meysel sitzt da in ihrem fliederfarbenen Kostüm, die Knie aneinander gepresst, mit zitternden Händen. Und natürlich spazieren einem gleich all die Klischees durch den Kopf, die an der Meysel pappen, dieser patenten kleinen Person mit der großen Schnauze, der kessen Berlinerin nie ohne Hut, der Mutter der Nation, der Kämpferin, die sich dazu bekennt, sexuell alles ausprobiert zu haben, der Aufrechten, die noch der kleinsten Spendenaktion ihren Namen leiht, der Barschen, Schlagfertigen, Verplapperten, der eigensinnigen Fernseh-Oma mit dem Herz am rechten Fleck, all das. Denn bei 90 Jahren hat es ja schon einige runde Geburtstage und dazugehörige Galen gegeben, ungezählte Artikel und Fernsehfilme und Theateraufführungen.

Auch diesmal schreiten wieder all die Herren mit lichtem Haar und polierten Lackschuhen die Ehrentreppenstufen zu ihrer Meysel hinab, die seit Jahr und Tag dazu gehören: Harald Juhnke zum Beispiel mit dem Juhnkehüftschwung und Klausjürgen Wussow mit der Wussowbiederkeit („Ich bin nervös“), es gibt Gratulationen von Dagmar Berghoff und Kanzler Schröder („Klar“, ruft die Meysel da, „der ist ja meine Partei!“) und schließlich, uiii, Alain Delon, vor dessen Arroganz dann sogar die Meysel selbst niederkniet, obwohl man Delon anmerkt, dass er nicht so recht weiß, wo man ihn gerade warum hingeflogen hat. Natürlich sitzt auch der gute Freund und Fernsehmann Wilhelm Wieben ihr zur Seite, dessen Altern man jahrzehntelang zusehen durfte, und zur anderen Gyula Trebitsch, der greise Produzent („diese großartige Gala ist wirklich fantastisch gut“).

Wie geradeheraus die „Unverbesserliche“ wirklich ist, bleibt den Galaguckern im Fernsehen leider vorenthalten, die Gäste im Studio Hamburg delektieren sich dagegen an dem gescheiterten Versuch Eva Hermans, mit der Meysel die Umbaupause zu verplaudern. „Sind Sie zufrieden mit Ihren Nachbarn?“, säuselt die Herman. „Das ist die unverschämteste Frage, die mir je gestellt wurde“, mosert die Meysel. Und der verdutzten Herman bleibt nichts weiter, als sich darüber zu freuen, „dass diese Frage nicht gesendet wird“ und beleidigt abzuziehen: „Bitteschön, ich lass’ sie in Ruh.“ Später weiß die diplomatische Jubilarin dann aber doch, was sich gehört. Der Abend, sagt sie, Alain Delons Pariser Rose in den zitternden Händen, habe sie „fertig gemacht“; sie könne sich „nicht entsinnen, jemals so zum Zittern gebracht worden zu sein“.

Und zum Schluss nehmen die vielen großen Worte, die an diesem Abend fallen, noch mal einen ganz anderen Weg. „Ich möchte mich bedanken bei einem Herrn da oben, der mich hat 90 Jahre werden lassen.“ Da darf doch wirklich ein bisschen gefühlt werden.

Für das richtig große Gefühl ist an diesem Abend allerdings nicht Inge Meysel zuständig, sondern ein anderer Greis im Frack: Johannes Heesters. Auf den Flügel gestützt gratuliert er, weil seine Augen die Meysel nicht finden, in eine unbekannte Ferne hinein, behauptet: „Die Zeit ist eine Freundin, die es gut mit dir meint“, hebt an, souffliert vom Pianisten: „Ich werde jede Nacht von Ihnen träumen! Mit Ihnen könnt ich glücklich sein.“ Und seine gebrochene Stimme schraubt sich in Höhen, als wäre sie nicht mehr von hier.