Teil einer Rentnerbewegung

■ Wie wir unseren sechzigsten Geburtstag feiern könnten, malte sich „Hamburger Schule – Das Klassentreffen“ auf Kampnagel aus

An unserem sechzigsten Geburtstag wird es eine große Feier geben. Wir engagieren eine Tanzkapelle, die Hits unserer Vergangenheit spielt: „Die schönste Zeit im Leben ist die Jugend“. Sie werden blaue Sakkos tragen, die toll im Licht der Scheinwerfer glitzern. Niemand wird tanzen, weil wir schon damals nicht getanzt haben. Aber wir werden mitsingen, um kurz darauf der „Autobiographie einer Heizung“ zu lauschen. Und wir werden denken, dass es eine gute Zeit war.

Werden wir? Vor diese Frage hat uns Jan Holtmann von der No Room Galery am Samstag auf Kampnagel in seiner Inszenierung „Hamburger Schule - das Klassentreffen“ gestellt. Er ließ die Hanseatic Diamonds, eine Tanzkapelle bestehend aus sechs älteren Herren, Hits von Tocotronic, den Sternen und anderen nachspielen. In diesem als Konzert getarnten Theaterstück konnte sich das Publikum selbst unter Girlanden in dreißig Jahren spielen. Eine seltene, irritierende Gelegenheit.

Dabei schien erst alles frei von Verstörung. Das sich jugendlich fühlende Publikum wollte über die älteren lachen und distanziert wie immer bleiben. Es wollte ironisch goutieren, dass auch diese Verdinglichung möglich ist und sie das deshalb nicht anficht. Ebenso wäre umgekehrt zu erwarten gewesen, dass die Diamonds sich über die Stücke lustig machen. Daß sie die intellektuellen Riffs mit spitzen Fingern spielen, um sich dagegen zu schützen, ausgestellt zu werden. Aber die Kapelle war keine Nähmaschine, neben der die Lieder wie Regenschirme liegenblieben. Das Klassentreffen war kein surrealistisches Ereignis. Die Musiker übersetzten die Stücke in das ihnen eigene Idiom. Das Publikum verlor seine Scheu davor, sich von Gitarrensoli und Schlagern unterhalten zu lassen und forderte mehr als eine Zugabe.

Die glänzende Inszenierung von Jan Holtman vermied so kunstvoll jede einfache Einordnung. Es ging weder darum, die bittere Wahrheit der Hamburger Schule und ihrer Fans zu zeigen, noch diese besserwisserisch zu kritisieren. Beide Konzepte wären an der dekonstruktiven Ästhetik des Hamburger Pop zerbrochen. Deshalb überbot Holtman diese Ästhetik affirmativ und erzeugte eine Unentscheidbarkeit, die alle Beteiligten ihrer ironischen Distanz beraubte und zur Positionierung herausforderte. Die Band musste die Stücke, das Publikum die Band ernst nehmen. Und beide hatten ihren Spaß.

Erst in dieser Verkehrung der Verhältnisse amusierte „Lass uns nicht von Sex reden“ von Blumfeld als expliziter Schlager. Erst so konnten alle „Die schönste Zeit im Leben ist die Jugend“ in einer endlosen Version mitsingen als seien sie auf ihrem sechzigsten Geburtstag. Und erst so zeigte sich, daß niemals wieder eine Tanzkapelle die „Autobiographie einer Heizung“ aufführen würde. Und wir können irritiert denken, dass es eine gute Zeit war. Ole Frahm