Szenen einer Ehe

Für die Düsseldorfer Grünen wäre der Weg in die Opposition kein fundamentalistischer Amoklauf, sondern kühles Kalkül. Denn das Koalitionstheater in Nordrhein-Westfalen ist Modell für den Bund

Selbst wenn Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen zu Stande kommt – die Legislaturperiode wird die Koalition nicht überstehen. Eine Liebesheirat sei es nicht, ist aus Düsseldorfer SPD-Kreisen zu vernehmen. Wolfgang Clement, der mürrische Bräutigam, betont ein ums andere Mal, da sei noch eine andere Partnerin sozusagen vom Himmel gefallen. Bereits vor der Landtagswahl sollte das hartnäckige Gerücht, Clement wolle eigentlich lieber mit Jürgen W. Möllemann anbandeln, die Grünen zum willfährigen und bedingungslosen Mehrheitsbeschaffer formen.

Doch Koalitionen benötigen die Vitalität beider Partner. Der Versuch der nordrhein-westfälischen SPD, durch Drohgebärden und Warmhalten der FDP Verhandlungsstärke zu erlangen, missachtet die Grundregeln jeder erfolgreichen Koalition. Selbst wenn die SPD eine Fortsetzung des bisherigen Regierungsbündnisses anstrebt – und nicht bloß eine Eheszene, um hernach mit der FDP davonziehen zu können –, muss Rot-Grün unter den gegenwärtigen Bedingungen scheitern.

Eine erfolgreiche Regierung braucht eine Vertrauensbasis und gemeinsame, verbindende Projekte. Helmut Kohl beachtete dieses Prinzip und schonte seine FDP, um mit ihr gemeinsam überleben zu können. Unter folkloristischen Querschüssen aus Bayern vermied er das Risiko des Gesichtsverlusts des kleineren Koalitionspartners und verzichtete stets auf demonstrative Drohgebärden. Gerhard Schröders SPD dagegen versucht in Nordrhein-Westfalen wie auch im Bund, die Grünen möglichst vorzuführen, um sich mit ihrem Macherkurs profilieren zu können. Aber wechselseitige Drohungen führen zu Negativa für beide Seiten, was dann anlässlich von Marginalien leicht zum offenen Bruch führen kann.

Die bereits erfolgten Kränkungen der Grünen durch die Düsseldorfer SPD sind nicht mehr rückgängig zu machen. Sollte es zu einer Koalition kommen, werden grüne Spitzenpolitiker wie die Basis empfindlich darauf achten, inwieweit das eigene Profil weiter beschädigt wird oder ein endgültiger Gesichtsverlust droht. Unter diesen Bedingungen würde selbst ein für die Grünen akzeptabler Koalitionsvertrag dauerhafte Empfindlichkeiten nicht mehr ausräumen und ein gereiztes Klima in keinem Fall vermeiden können. Doch angesichts leerer Kassen ist ein solcher Vertrag auch gar nicht zu erwarten. Einziges Koalitionsziel wird daher blankes Weiterregieren sein. Unter diesen Umständen muss die grüne Fraktion mit andauernden Protesten und Kritik von der Basis rechnen, denen dauerhaft standzuhalten sie bereits jetzt kaum noch die Kraft und Autorität hat.

Die gegenwärtige Verhandlungsinszenierung spiegelt zugleich das vorherrschende SPD-Klima wider: Clement (Wahlslogan: „weil er es kann“) ist der rasche Macher, der aus Angst, sich auf beschwerliche politische Meinungsfindungen einlassen zu müssen, vorzeitig zum Höhepunkt kommt, ohne dabei auf seinen Partner zu achten. Eine Ehe ist unter diesen Umständen zum Scheitern verurteilt, weil die Grünen immer frustriert bleiben werden. Die Rastlosigkeit des hektischen Wolfgang, der bereits unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Rau stets zu früh kam und doch immer wieder ungeduldig auf seinen Erbhof warten musste, steht grünem Gedankengut diametral entgegen: Ausbau von Straßennetzen und Flughäfen, Nachtflüge, Garzweiler II und Medienpark sind die konzeptionslosen Höhepunkte eines Politikers, der immer will, aber nie wirklich kann. Die Verwaltungsstrukturreform – ganz hoch gehängt – begann Clement mit einer doppelten Bauchlandung: Hektisch legte er Justiz- und Innenressort zusammen, um dabei gerichtlich gestoppt zu werden. Und der hernach ebenso rasch aus dem Hut gezauberte Justizminister musste noch vor seiner Vereidigung wieder zurücktreten.

Wer sich um Nachhaltigkeit bemüht, darf nicht nur kommen wollen, sondern muss auch den Boden für seine Nachkommenschaft bestellen. Doch solche Gedanken liegen Clement fern. Konsequenterweise trifft er sich bereits während der laufenden Koaltionsverhandlungen mit Möllemann, der ebenso rastlos und selbstverliebt Politik mit medialem Entertainment vertauscht. Möllemanns Rummelerfolg wird aus der Konzeptionslosigkeit der beiden Koalitionspartner geboren, denen es an inhaltlichen Vorstellungen fehlt und die daher so wenig Aufbruchstimmung verbreiten.

Kostprobe Möllemann: Um Dauerstaus zu verhindern, werde er kurzerhand das Ruhrgebiet untertunneln. Wenn es im Wahlkampf nicht mehr um zukunftsfähige politische Konzepte geht, siegt folgerichtig die beste Unterhaltungsshow. Weil es den Partnern an gemeinsamen Projekten mangelt, konnte Möllemann das Vakuum durch Politik-Events füllen. Die SPD besitzt keinerlei für eine Legislaturperiode ausreichende Politikentwürfe für NRW. Dies würde spätestens dann deutlich, wenn die Grünen nicht mehr als Verhüterli vorgeführt werden können. Am Gängelband der SPD hingegen werden die Grünen jede Kontur verlieren. Ihre Wahlverluste sind schon jetzt Ausdruck der Enttäuschung, da sie nicht wegen ihrer Anpassungsfähigkeit, sondern als Korrektiv gewählt wurden.

Seitens der Bundes-SPD wächst der Druck auf Clement. Mit Blick auf die Koalitions-Tändelei wirft ihm der stellvertretende Bundestags-Fraktionschef Joachim Poß gezielte Desinformationspolitik vor. Tatsächlich würde man die visionären Leistungen der Landes- und Bundes-SPD überschätzen, ginge man von einer Langzeitstrategie aus, die auf einen Wechsel zur FDP abzielt. Macher wie Clement stolpern vielmehr über ihre eigene Ungeduld, die grundsätzlichen politischen Überlegungen und Zukunftsvisionen im Wege steht.

Was in Nordrhein-Westfalen geschieht, ist richtungweisend für den Bund. Mangels sozialdemokratischer Identität nach dem Lafontaine-Abgang taumelt die SPD zwangsläufig zur FDP. Umso mehr müssen sich die Grünen um ihre politische Zukunft als Oppositions- und Koalitionspartei bemühen. Der Weg aus der Düsseldorfer Regierung wäre kein fundamentalistischer Amoklauf, sondern kühles Kalkül: Denn die viel beklagte Politikverdrossenheit wird die Grünen aus den Parlamenten befördern, wenn nicht ein Minimum an politischen Essentials erkennbar bleibt. Nur dann kann deutlich werden, für welche politischen Konzepte man einstehen will. Aktuell erlebt die staunende Öffentlichkeit jedoch, dass jede Forderung der SPD nach Preisgabe grüner Essentials mit einer flinken Rolle rückwärts beantwortet wird: Die Grünen als Dolly-FDP, die gentechnisch aufgemotzt noch rascher bereit ist, eigene Inhalte aufzugeben.

Ein grüner Gang in die Opposition in Düsseldorf würde im Gegensatz dazu auch bundespolitisch klar machen, dass Schröders Wahltaktik für die nächste Bundestagswahl zusammenfällt. Denn die Bundes-SPD benötigt eine starke grüne Partei mit erkennbaren politischen Realisierungen. „Wer links will, muss grün wählen.“ Eben.

Hinweise:Als Partner ist Clement der rasche Macher, der immer will, aber nie kannUnter diesen Umständen werden die Grünen immer frustriert bleiben