Ein Lobbyist im Amt

Der neue Behindertenbeauftragte des Senats, Martin Marquard, ist der Erste in seinem Amt, der selbst im Rollstuhl sitzt. Bislang hat der 54-Jährige das neue Landesgleichstellungsgesetz kritisiert, jetzt muss er mit den Paragrafen arbeiten

von CHRISTOPH RASCH

Viel Persönliches findet sich noch nicht im neuen Büro. In einer Ecke steht ein Falt-Rollstuhl. Den braucht Martin Marquard, um mit den Limousinen der Senats-Fahrbereitschaft zu seinen öffentlichen Auftritten zu kommen. Der Mann will schließlich auch repräsentieren. Wie jüngst am Weißen See, als er die erste behindertengerechte Angelstelle Berlins eröffnete. Martin Marquard ist seit drei Wochen neuer Behindertenbeauftragter des Berliner Senats und der erste, der selbst im Rollstuhl sitzt.

Nicht jedes Bundesland leistet sich ein solches Amt, Berlin ist vergleichsweise privilegiert. Behinderte aller Bundesländer beneiden die Hauptstadt um ihr 1999 verabschiedetes „Gleichstellungsgesetz“, das Diskriminierungen im Alltag verbietet. Doch der Teufel steckt auch hier im Detail. Denn „was genau Diskriminierung ist, wird dort nicht definiert“, kritisiert Marquard. „Aber die Politik hat Angst, das Gesetz zu konkretisieren – aus Angst vor den Folgekosten.“ Dies trotzdem anzumahnen wird eine vorrangige Aufgabe des 54-Jährigen sein.

Arbeiten muss Marquard nun trotzdem mit der diffusen Paragrafen-Grundlage – früher gehörte er zu ihren scharfen Kritikern. Denn der Rollstuhlfahrer war vor seinem Amtsantritt im Vorstand des Berliner Behindertenverbandes. Kurz nach seiner Berufung durch den Senat verlautbarte der Verband betont offiziös, er werde den neuen Beauftragten unterstützen. „Das war hoffentlich nicht doppeldeutig gemeint“, sagt Marquard, „aber ich verstehe das als Mahnung in meine Richtung.“ Manche Mitstreiter verstünden den Amtsantritt eben auch als einen Wechsel der Fronten, „nicht jeder hat positive Erfahrungen mit den Behörden“.

Seine Ämter im Behindertenverband und im Berliner „Spontan-Zusammenschluss“ der Behindertenorganisationen hat Marquard jedenfalls niedergelegt – „ich muss mich neutral verhalten“.

Marquards Tagesgeschäft wird es sein, Öffentlichkeit herzustellen für die 500.000 Berliner Behinderten. Darin hat der studierte Publizist und langjährige Lehrer Erfahrung. Im Rollstuhl sitzt der vierfache Familienvater wegen eines chronischen Rheumaleidens seit 1985. Seine Politisierung als Behinderter erlebte er zwei Jahre später, als West-Berlin die Kürzung des Telebus-Angebots diskutierte. Seit damals ist er in Selbsthilfegruppen, dem Verband und der Berliner Behindertenzeitungaktiv. Und die mit 27 Millionen Mark vom Land finanzierten Telebusse werden ihn auch weiterhin begleiten: „Das ist ein Haushaltsposten, der in jedem Jahr wieder auf der Streichliste des Senats steht.“

Dass mit Marquard ein Verbandsmensch den Posten bekleidet, wird allseits begrüßt. Der frühere behindertenpolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, Dietmar Volk, hofft, dass „so manche Diskussion einfacher werde“, und auf eine „stärkere öffentliche Präsenz“ des Themas. Ebenso erscheine positiv, dass der Behindertenbeauftragte erstmals selbst ein Behinderter ist. „Einen Mann als Frauenbeauftragten kann ich mir auch nicht vorstellen“, sagt Marquard selbst.

Seine Vorgängerin, CDU-Staatssekretärin Verena Butalikakis – nach deren Ausscheiden das Amt lange Zeit verwaist war – stand für den kurzen Draht zur Senatsverwaltung. Doch, findet Marquard, „lief das der Idee einer unabhängigen Beschwerdestelle entgegen“. Denn der Behindertenbeauftragte will der Behörde auf die Finger schauen.

Marquard nun würde woanders als Lobbyist gelten. Er will sich dennoch von eingefahrenen Strukturen verabschieden. In der Abschlusserklärung ihrer Bundeskonferenz warnten Marquards Amtskollegen vergangene Woche in Magdeburg vor einem Zusammenbruch der selbst bestimmten Pflege und Betreuung, wenn ab dem 1. Juli der Zivildienst um zwei auf elf Monate gekürzt werde. Übertriebene Ängste, findet Marquard. „Zivis sind Jobkiller im sozialen Bereich, hier sind Profis gefragt“, sagt der Gegner von Zwangsdiensten. „Die Pflegeinstitutionen müssen lernen, umzudenken und die bequeme Zivi-Struktur umzubauen.“

Mit zwei Mitarbeitern und ohne eigenen Etat sitzt Marquard als Schnittstelle zwischen Behinderten, ihren Organisationen und dem Senat in seinem kleinen Büro im zweiten Stock der Sozialverwaltung. Zwar fehlt eine Automatiktür am Eingang, doch der Altbau an der Oranienstraße ist immerhin zugänglich für Behinderte. Das ist in Berlin noch lange keine Selbstverständlichkeit. Berlins Bauten behindertengerechter zu machen steht deshalb auf Marquards Agenda ganz oben. Denn der Einbau von Aufzügen in U-Bahnhöfen oder die Ausrüstung von öffentlichen Gebäuden mit Rollstuhlrampen ist ins Stocken gekommen.

Marquards Machtmittel sind sein Recht, Anfragen an den Senat zu stellen und schwerwiegende Verstöße gegen die Diskriminierungsparagrafen – so durch bauliche Behinderungen – in seinem Jahresbericht zu nennen. Doch wenn Berliner Verkehrsbetriebe oder Bezirksämter auf ihre leeren Kassen verweisen, ist auch Marquard mit seinem Latein am Ende: „Dann bringt es nichts, mit dem Gleichstellungsgesetz zu fuchteln“, sagt er.

In sein Büro in der Oranienstraße wird bald zumindest ein persönliches Accessoire Einzug halten: ein „Holz-Rammbock“, mit dem er am Protesttag der Behinderten am 5. Mai eine symbolische Klagemauer aus Pappkartons eingerissen hatte.