Frankfurt bangt um seinen guten Ruf

Kein Aufstand im Aufsichtsrat der Deutschen Börse: Trotz Bedenken nicken die Kontrolleure die Fusion mitder London Stock Exchange ab. Kritiker fürchten, dass der größte deutsche Finanzplatz seine Bedeutung verliert

BERLIN taz ■ 4 von 21 Mitgliedern des Aufsichtsrats der Deutschen Börse AG in Frankfurt am Main konnte der Vorsitzende Rolf E. Breuer nicht überzeugen. Sie enthielten sich der Stimme, als das Kontrollgremium am Dienstagabend in die Fusion mit der Londoner Börse einwilligte. Eine derartige Entscheidung laute im Fachjargon trotzdem „einstimmig“, erklärte Börsensprecher Uwe Velten. Mangels organisierter Kritik kann Breuer, im Hauptjob Chef der Deutschen Bank, nun versuchen, die Verschmelzung der beiden größten Börsen Europas bis Jahresende unter Dach und Fach zu bringen.

Nach Angaben der Deutschen Börse wird die Hauptversammlung der Eigentümer irgendwann im Sommer einberufen. Die entsprechende Veranstaltung in London wurde gerade erst auf September verschoben. Indizien, dass die Kooperation so unproblematisch nicht ist, wie die Vorstände sie gern hätten, gibt es also mehr als genug.

Auf deutscher Seite kritisiert Herbert Beyer, Vertreter der Gewerkschaft HBV im Aufsichtsrat, die Diskussion als „schief“. Seiner Ansicht nach ist durchaus nicht ausgemacht, dass sich in Zukunft ein Gleichgewicht zwischen den Börsenplätzen Frankfurt und London aufrechterhalten lässt. Beyer verweist darauf, dass der Sitz der neuen Börse „iX“ in London angesiedelt sein solle. Daraus leitet der Gewerkschafter die Befürchtung ab, auf die Dauer werde die Community der Börsenhändler, Makler und Broker auch überwiegend in die britische Hauptstadt ziehen und in Frankfurt einen eher unwichtigen Handelsplatz zurücklassen. Die Banken hätten wegen der hohen Kosten nicht unbedingt Interesse, an zwei Börsen gleichzeitig vertreten zu sein. Trotzdem hat der HBV-Vertreter der Verschmelzung im Aufsichtsrat zugestimmt.

Welche Auswirkungen die Fusion auf die Beschäftigten haben wird, ist für Beyer noch nicht absehbar. Die Vorstände gehen von wenigen Arbeitsplatzverlusten am Main aus, da nur der Vorstand mit wenigen Beschäftigten an die Themse ziehen werde.

Den Beschlüssen der beiden Börsen zufolge sollen die Aktiengesellschaften selbst entscheiden können, ob ihre Anteile in Euro oder Pfund gehandelt werden. Damit versuchten die Vorstände, die Kritiker zu besänftigen, die in den vergangenen Tagen in der Festlegung auf eine Währung eine Vorentscheidung für ein Übergewicht von London oder Frankfurt gesehen hatten.

Kritik hatte unter anderem der hessische Wirtschaftsminister Dieter Posch (FDP) geäußert. Er bezweifelte, dass Frankfurt längerfristig „an der dynamischen Entwicklung der Börsenmärkte teilnimmt“. Zwar haben die Börsen bislang vereinbart, dass Standardwerte wie DaimlerChrysler und Vodafone in London, die jungen Aktien des Neuen Marktes jedoch weiterhin in Frankfurt gehandelt werden. Nicht nur Posch argwöhnt jedoch, dass sich auch der Neue Markt allmählich nach London verlagern könnte.

Die neue Großbörse iX will nach den Worten ihres designierten Chefs Werner Seifert eine neue Familie von Börsenindizes schaffen. Die bisherigen Kooperationspartner der Börsen bei Indizes – in London der Financial Times Verlag und in Frankfurt Dow Jones zusammen mit den Börsen Zürich und Paris in der Stoxx-Index-Familie – würden dabei nicht berücksichtigt, sagte Seifert. Die bislang gebräuchlichen Indizes wie etwa das Frankfurter Börsenbarometer Dax dürften aber weiterleben.

HANNES KOCH

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