Cool wie Cantona

Zwischen netten Prostituierten und schändlichen Schändern: In dem Thriller „The Lost Son“ muss sich Private Eye Daniel Auteuil allein durchs unwirtliche London schlagen

Franzosen haben es schwer in Großbritannien. Doch sie verstehen sich zu wehren. Mit einem eleganten Side-Kick über die Bande beförderte der Topfußballer Eric Cantona einst einen rassistisch daherpöbelnden Fan ins Krankenhaus – eine erfrischende Aktion, die ihm eine Sperre und den Respekt progressiver Fußballfreunde einbrachte.

Mit „The Lost Son“ hat das insofern etwas zu tun, als auch Xavier Lombard, französischer Exbulle im Londoner Exil, zur Selbstjustiz greift in einer Situation, die einem wie ihm, in einer feindlichen Umgebung, keine andere Wahl lässt. Auch er spielt gerne Fußball, bleibt dabei Franzose, denn er raucht selbst unter der Dusche, und am Ende zitiert der Film via TV sein Vorbild, den bekennenden Rimbaud-Jünger Cantona, mit dessen zweitwichtigstem, ungleich rätselhafteren Statement: „Wenn die Möwen dem Kutter folgen, ist das, weil sie sehen, dass Sardinen ins Wasser geworfen werden“.

Ähnlich schöne Bilder hat Regisseur Chris Menges auch für Lombards strukturelle Einsamkeit gefunden und den besten Schauspieler von allen für diese Rolle, Daniel Auteuil, der sich eigens dafür ein ziemlich unglaubliches Englisch angeeignet hat. Als kleiner Privatdetektiv rettet er englische Ehen, das heißt, er beschattet und erpresst untreue Ehefrauen. Den bescheidenen Erlös legt er in Feinkost an. Seine Kontakte zur Außenwelt beschränken sich auf die Fußballkameraden, den ewig laufenden Fernseher und eine nette Prostituierte, die er noch aus Paris kennt. Beide sind Fremde geblieben, und Chris Menges, den man seit seinem Apartheid-Thriller „Zwei Welten“ zu den Guten rechnen darf, kann das auch zeigen.

Gründlich misslungen ist ihm leider der ganze Rest. „The Lost Son“ ist ein Kriminalthriller ganz alter Schule, in dem Gut und Böse von vornherein so klar verteilt sind, dass selbst Schwarzenegger damit ein Problem haben dürfte. Das liegt am Thema, mit dem es sich diese guten Menschen ein wenig zu leicht gemacht haben: Von einem Starkollektiv um die überaus zickige Nastassja Kinski beauftragt, nach einem verschollenen Sohn zu suchen, kommt Lombard bald einem Ring von Kinderschändern auf die Spur. Er schleust sich ein, läuft Amok, rettet ein Kind und ringt dabei mit einer Dimension des Bösen, die jede noch so überzogene Reaktion als allzumenschliche entschuldigen würde. So fehlt seiner Selbstjustiz, in diesem dürftigen Abklatsch der alten „Ein Mann sieht Rot“-Geschichte, jener spekulative Glamour der Anmaßung, über den sich wenigstens reden ließe.

Was sollte man über das Geschäft von Kinderhändlern auch spekulieren? Menges verzichtet hier zum Glück, aber eben auch notgedrungen, auf unnötige Sensationen. Und der schöne Daniel? Der ist verschenkt. Denn dass sein Lombard ein Zerrissener ist, spielt nur für ihn eine Rolle, nicht aber für die Zuschauer, die sich mit seinem Handeln ohne jedes Nachdenken solidarisieren könnnen. „The Lost Son“ ist denn auch kein Film Noir, obwohl Menges mit vielen Zitaten spielt, allerlei düstere Familiengeheimnisse konstruiert hat und die Inkonsistenzen im Drehbuch „The Big Sleep“ alle Ehre machen würden. Spätestens als sich Lombard, rein mythenhalber, zur mexikanisch-amerikanischen Grenze aufmacht, um den letzten Bösewicht zu erledigen, möchte man ihm nicht mehr folgen. PHILIPP BÜHLER

„The Lost Son“. Regie: Chris Menges. Darsteller: Daniel Auteuil, Katrin Cartlidge, Nastassja Kinski, Marianne Denicourt. Großbritannien/Frankreich 1998, 102 Min.