Freundliche Lügner

Nirgendwo in Südostasien werden Journalisten so höflich behandelt wie auf den Philippinen. Doch die Informationsflut hat auch ihre Nachteile

aus Zamboanga JUTTA LIETSCH

„Warum fahren Sie nach Mindanao? Da ist es jetzt gefährlich“, warnt der Taxifahrer, der mich zum Inlandsflughafen der philippinischen Hauptstadt Manila bringt. Als ich ihm erzähle, dass ich nicht als Touristin, sondern „zum Arbeiten“ dorthin fliegen will, dreht der Mann sich freundlich um und sagt: „Ach, Sie sind Reporterin. Es geht um die Geiseln? Na, dann wünsche ich Ihnen mal eine Exklusivgeschichte!“

Den Filipinos macht es Spaß, mit der Presse zu plaudern

Willkommen auf den Philippinen: In keinem anderen Land Südostasiens werden ausländische Pressemenschen so freundlich behandelt. Nirgendwo sonst sind die Bewohner so ungezwungen bereit, fremden Journalisten Auskunft zu erteilen. Das gilt nicht nur für die Leute auf der Straße, sondern auch für PolitikerInnen und Geschäftsleute. Der Unterschied zu repressiven Staaten wie Vietnam, Malaysia oder gar Burma ist frappierend. Wer die richtigen Telefonnummern in seinem Notizbuch hat, kann ohne Mühe Armeeoffiziere, örtliche Polizeichefs, Minister, Senatoren und Gouverneure interviewen.

Versuche der Regierung, ihre Mitarbeiter in Krisenfällen zum Stillschweigen zu verpflichten, schlagen meistens fehl – es macht den Filipinos einfach zu viel Spaß, mit der Presse zu plaudern. Die wohltuende Offenheit spiegelt sich auch in der lokalen Zeitungslandschaft und in den Fernsehsendern wider.

Seit dem Ende der Marcos-Diktatur im Jahr 1986 zählen die einheimischen Medien zu den freiesten der gesamten Region. Die Leute sind stolz auf die durch „people power“ errungene Pressefreiheit: Jeder Versuch, Kritik oder politische Debatten über unliebsame Entwicklungen zu unterdrücken, löst deshalb erbitterte Reaktionen auf den Meinungsseiten der zahlreichen Zeitungen des Landes aus.

Die Entführungen auf den Inseln Basilan und Jolo beherrschen seit Wochen die Nachrichtenspalten der philippinischen Blätter. Eine große Hilfe für die Korrespondenten, die aus den Heimatländern der 21 Geiseln in die Provinz Mindanao geschickt wurden – viele von ihnen hatten bis dahin noch nie von Sipadan, Sulu, Jolo, Zamboanga oder Basilan gehört. Wer wusste auch schon, was sich hinter exotischen Namen wie Abu Sayyaf oder Nur Misuari oder Abkürzungen wie MNLF oder MILF verbirgt? Zudem fügt es sich glücklich, dass die größten Zeitungen und viele Fernsehsendungen auf Englisch produziert werden statt auf Tagalog oder in einer anderen lokalen Sprache.

Gerüchte und Spekulationen verbreiten sich in Windeseile

Natürlich hat die Medaille auch ihre Kehrseite: Gerüchte und Spekulationen verbreiten sich blitzschnell, wie die Berichterstattung aus Jolo in den letzten Tagen gezeigt hat: Mit Berufung auf „offizielle Angaben“, „Regierungskreise“ oder „Kontaktleute der Unterhändler“ meldeten die Presseagenturen am gleichen Tag: „Zwei Geiseln wahrscheinlich tot“, „eine Geisel an Herzversagen gestorben“ oder „mehrere Geiseln angeschossen“.

Philippinische Politiker wiederholten im Interview, was sie zuvor nur im Radio gehört hatten – und damit schien die Nachricht plötzlich „offiziell bestätigt“ zu sein. Zwei philippinische Senatoren wurden nicht müde, zu behaupten, der amerikanische CIA stecke hinter den „Abu Sayyaf“-Kidnappern. Am nächsten Tag beschrieb eine philippinische Zeitung die Gruppe als eine „vom CIA unterstützte“ muslimische Terroristenoorganisation.

Der unglückliche Spiegel-Reporter, der in der vergangenen Woche die „bevorstehende Freilassung“ der erkrankten Deutschen Geisel Renate Wallert ankündigte, hatte sich auf „zwei sehr gut informierte Quellen“ in Jolo verlassen – und nicht bedacht, dass solche Ankündigungen gern gestreut wurden, um das Ansehen der lokalen Verhandler zu stärken.

Mit Handy und Comupter im tiefsten Dschungel online

Auch die Entführer bedienen sich gezielt der Medien: Abu-Sayyaf-Sprecher rufen lokale Radiostationen an, um Forderungen zu stellen und widersprüchliche Aussagen über den Gesundheitszustand ihrer Gefangenen zu lancieren. Folge: Jeder Versuch der von der Regierung bestellten Unterhändler, den Informationsfluss zu kontrollieren, muss scheitern. Ab und zu gewähren die Kidnapper einigen Journalisten Zugang zu den Geiseln, um das Interesse der Weltöffentlichkeit wach zu halten und zugleich ihre eigene Position gegenüber Manila zu stärken.

Moderne Übertragungsmöglichkeiten sorgen dafür, dass ihre Erklärungen binnen wenigen Minuten um die Welt gehen: Auch im tiefsten Dschungel können die Kidnapper inzwischen per Satellitentelefon, Handy und Computer nachlesen, wie ihre Aktionen ankommen. Den Reportern vor Ort sind selbst die kleinsten Vorfälle und Gerüchte willkommen, um die Langeweile ihres Alltags zu unterbrechen und die eigene Präsenz zu rechtfertigen.

Die Deutschen, die mit der dreiköpfigen Familie Wallert nach den Malaysiern in Jolo das höchste Geiselkontingent stellen, sind besonders stark vertreten: Beide öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme, Sat.1, RTL, und Spiegel-TV haben mindestens ein Kamerateam vor Ort. Franzosen und Spanier haben ebenfalls TV-Leute geschickt.

Kopf und Kragen riskiert, wer die „Exklusivgeschichte“ will

Da keine Amerikaner unter den Entführten sind, berichtet der US-Sender CNN inzwischen nur noch aus Manila. Unter den Agenturen und europäischen Fernsehteams ist die Konkurrenz groß. Wer es schafft, als Erster aufregende Bilder von Geiseln oder Entführern zu besorgen, kann mit dem Verkauf an große Sender oder Magazine ein hübsches Sümmchen verdienen. Für die philippinischen Fahrer und Übersetzer bietet das die einmalige Gelegenheit, sich innerhalb weniger Tage Hunderte oder gar Tausende von Dollars zu erarbeiten – ein Vielfaches ihres normalen Gehalts.

In den letzten Tagen versuchten immer wieder Journalistengruppen, auf eigene Faust zu den Geiseln vorzudringen. Wären sie dabei „verschwunden“ oder gar selbst „gekidnappt“ worden, hätte es kritische Kommentare gehagelt. Doch „Abu Sayyaf“ ließ einige der französischen Kollegen zu den Geiseln vor. Ihr Wagemut hat sich gelohnt: Sie haben ihre „Exklusivgeschichte“.