Die einsame Kommune

Auf dem Gut freut man sich über seine indianische Schwitzhütte im Park. Im Dorf genießt man seinen Instant-Cappuccino, Typ Amaretto

aus PommritzKATHARINA BORN

Im sächsischen Pommritz bellen wütend die Hunde, wenn ein Fremder die Dorfstraße heraufkommt. Eigentlich müssten sie es längst gewohnt sein. Denn in den letzten Jahren kommt es häufiger vor, dass ein Fremder durch das Dorf mit seinen 150 Einwohnern joggt. „Dieser Philosoph – bei uns heißt das Spinner“, sagen die Pommritzer und winken ab. „Was Besseres hat der wohl nicht zu tun.“

Maik Hosang, „der Spinner“, leitet das Bahro-Archiv an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität. Das wäre nicht weiter schlimm. Aber Hosang ist, nebenbei sozusagen, der wissenschaftliche Leiter des „Lebensguts“, eines der Projekte, die weltweit zur Expo 2000 gehören. Das Lebensgut experimentiert mit der „Zukunft dörflichen Lebens im 21. Jahrhundert“, mit Subsistenzwirtschaft und ökologischer Lebensweise. Das tut es in der Oberlausitz, unweit von Bautzen, im Herzen eines kleinen Dorfes, in dem außer den Hunden niemand viel Lärm macht – und das soll auch wieder so werden, hoffen die Dörfler.

Im Mittelalter Rittergut, in der DDR Volksgut, heute Lebensgut

Im ehemaligen Gut Weidlitz aus dem 17. Jahrhundert nistete sich das Lebensgut als eine Art Kommune ein: Mehrere schwere Gebäude sind unübersichtlich um einen erdigen Hof angeordnet, ein hohes Haupthaus, grau verputzt, mit stufigem Giebel, Scheunen und Ställe, teilweise baufällig, darin eine Käserei, eine Bäckerei, ein Selbstversorgungsladen, hundert lustig umherkletternde Ziegen und Zicklein auf Kisten und Kästen, nebenan eine Villa, im Dorf noch ein Haus, drumherum ein Park und 60 Hektar Land – die Adresse: Pommritz Nr. 1.

Bis zur Wende arbeitete hier das Volksgut Pommritz, eine landwirtschaftliche Lehr- und Versuchsanstalt. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts schon probierte man hier neue Formen der Landwirtschaft. Damals bedeutete das Experimente mit Düngemitteln und Saatgut. Auch heute noch sitzt die Sächsische Landesanstalt für Landwirtschaft auf dem Grundstück, in einem grauen Flachbau – dem früheren Konsum von Pommritz.

„Das Volksgut war unsere kleine Lebensgeschichte“, sagt Irmgard Fritsche, 70, Pommritz Nr. 4, deren Mann „bis kurz vor Schluss“ Direktor der Versuchsanstalt war. Fast alle Pommritzer waren entweder im Schweinestall, in der Küche, auf dem Feld oder in der Verwaltung beschäftigt – oder sie spielten als Kinder auf den Heuböden und tanzten auf den organisierten Festlichkeiten im großen Saal des Ritterguts. „Das war ein Gut, das sich sehen lassen konnte“, sagt Irmgard Fritsche. „Wir waren es gewohnt von der DDR, viel arbeiten zu müssen. Aber am Ende ist auch etwas rausgekommen für die Gesellschaft. Diese liederlichen Leute fangen alles an und kriegen nichts fertig. Mit dem Geld, das die kriegen, hätten wir auch weiterwirtschaften können.“

Dieser Tage ist der große Saal mit den hohen Fenstern voller Umzugskartons und Kunst. Makramee-Kokons, Schallexperiment-Waben, Spiegel-Kuben hängen von der Decke, verstauben an den Wänden. Manchmal führen auf der Bühne des Saals die Kinder des Lebensguts ihre eigenen Stücke auf. Heute trocknen dort an einem Wäscheständer Norberts Latzhosen und Holzfällerhemden. Norbert Butze, 45, von Beruf Bauingenieur, wohnt seit vier Jahren auf dem Gut. Seine frühere Arbeit lief für ihn „auf Ausbeutung hinaus“. Er wollte alles in seinem Leben „sinnvoll miteinander verknüpfen“, und als er das Gut für sich entdeckt hatte, fühlte er sich schon viel wohler. Nun ist er Mitglied der „Kerngruppe“, des Hauptentscheidunsgremiums der Kommune.

Die Bewohner des Lebensguts sind hier, weil sie ihre Ruhe wollen. Norbert ist als Einziger der Alteingesessenen bereit, von sich zu erzählen. Er sitzt mit seinem freundlichen roten Gesicht ein wenig schüchtern in dem alten Sessel der „Zukunfts-Bibliothek“, hinter ihm Bücher wie „Laterales Denken“, „Du bist viele“ und „Der Gefühlsstau“, Koch- und Gartenbau-Bände. Norberts Steckenpferd ist die ayurvedische Philosophie.

Seminare zu indianischen Ritualen, ökologischer Lebensweise – man ist für alles offen, heißt es auf dem Gut. Im Meditationsraum kann auch Tee getrunken werden, und wenn im Sommer Jugendgruppen zu Besuch sind, dann wird in der indianischen Schwitzhütte im Park auf dem Didgeridoo aufgespielt. Gleich vorn an die Dorfstraße haben die Gutsbewohner ein Lehmhaus gebaut. „Vis à vis meinem Küchenfenster so ein dreckiges Ding“, schimpft Frau Biebrach, Pommritz 18a. „Und wir brauchen für jede Hundehütte eine Baugenehmigung.“ „Das sind doch alles Frauen mit Kindern, nur zerrüttete Familien, die da wohnen“, sagt Irmgard Fritsche. „Wie wollen die denn was schaffen, wenn bei ihnen selbst keine Ordnung ist.“ Da wo die Kommunenbewohner schon fertig sind, ist alles liebevoll ausgestattet, mit selbst gebauten Regalen, bunten Teppichen und Trödel aus aller Welt. Ansonsten ist das Gut noch Baustelle. Zimmer werden hergerichtet, Dächer repariert, Dachböden ausgebaut. Vieles ist angedacht, aber Zeit und Geld fehlt für das meiste.

Die ersten Projektmitglieder wollten vor sieben Jahren noch aus der Gemeinschaftskasse leben und das Feld mit Pferden bestellen. Solche Experimente haben „viele überfordert“, heißt auf dem Gut – die Fluktuation der Bewohner ist noch immer groß. Es waren schon mal mehr als heute. Die Expo soll nun ein wenig Seriosität nach außen ausstrahlen, Geld gibt es zwar keines, aber man freut sich auf Besucher, mit denen man reden kann. Das Label „Expo-Projekt“ wird dem alternativen Leben Aufgeschlossene nach Pommritz locken – als Besucher, hoffen die Hofleute.

Gut vierzig ABM-Kräfte arbeiten auf dem Gut, zum Verdruss der Dörfler

Projekte wie das Lebensgut, das haben die Älteren unter den Hofbewohnern gemerkt, ziehen vor allem Leute an, die mit sich und dem Leben nicht zurechtkommen und nur rumhängen wollen. Daher gibt es jetzt für jeden einen Gaststatus, bevor er aufgenommen wird. Miete und Essensgeld zahlen müssen sowieso alle.

Acht Arbeitsplätze bietet das Projekt bislang, mehr gibt die Landwirtschaft nicht her. Die restlichen der 25 Erwachsenen und 21 Kinder, fast alle Akademiker, vom ehemaligen NVA-Oberst bis zum Elektroingenieur, leben von einer Arbeit außerhalb oder von Arbeitslosengeld. Eigentlich war das Gut für 300 Bewohner geplant. Vielleicht, sagt Norbert, können in zehn Jahren 100 Leute ernährt werden, mit einer Gaststätte, Seminaren der Bildungswerkstatt und dem geplanten Öko-Bauernmarkt.

Norbert koordiniert zur Zeit die 20 ABM-Kräfte, die den Pferdestall zum Seminarhaus umbauen. Siebzehn weitere gestalten den historischen Park, und fünf sind mit der Verwaltung und der Bahro-Ausstellung für die Expo beschäftigt. Die ABM-Stellen gibt es, weil das Lebensgut ein gemeinnütziges Projekt ist. Vor dem Pferdestall hat sich Norbert dem Heizungsumbau gewidmet. Etwa 10.000 Mark kann das Gut jetzt an Heizkosten sparen, die früher für Koks draufgingen. – Die vorbildlichen Landbewohner sind hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Auch wenn sie „Besserung geloben“.

„Die paar Hanseln, die geblieben sind, die haben sich mit dieser Hütte überladen“, sagt Rosa Kreisel, 48. „Ich tät so nicht leben wollen. Und sie lassen es, auf deutsch gesagt, vergammeln.“ Rosa Kreisel ist vor zwei Jahren in Pommritz von Haustür zu Haustür gezogen, um Unterschriften zu sammeln gegen die Spinner vom „Liebesgut“, wie man es damals im Dorf noch nannte, weil man es verdächtigte, einer Sekte anzugehören. Damals geriet Rosa Kreisel fast selbst in den Verdacht, eine Spinnerin zu sein, weil sie sich so engagierte. Aber „hinterm Ofen hocken kann jeder“, sagt sie. Rosa Kreisel ist in Pommritz geboren. Ihre Eltern arbeiteten dort im Schweinestall – 3.500 Mastschweine. „Man ist hier ja verwurzelt. Mir ist das nicht egal, was hier passiert.“ Und Sohn Ralf, 29, sagt: „Das sind die Letzten, die das Dorf braucht.“ Seit die, „die sich nicht waschen“, dort wohnen, ist für ihn „das Unterdorf gestorben“.

Nach der Wende stand das Gut zwei Jahre leer. Ein Schrotthändler lagerte dort Altpapier und rostige Maschinen. Irgendwann ging er wieder fort, der Schrott blieb liegen. Für ein Altersheim war kein Geld da. Die Alternative, ein Heim für schwer erziehbare Jugendliche, wollte niemand in Pommritz, und schon gar keines für Aussiedler – „da doch lieber die Spinner und Halbverrückten“, sagt Rosa Kreisel. „Leer stehen lassen“, sagt ihr Sohn. „Vergammeln lassen. Dann ist wenigstens Ruhe.“

Vor zwei Jahren herrschte in Pommritz alles andere als Ruhe. Das war, als das Land Sachsen Haus, Stallungen und Park für 200.000 Mark von der Treuhand kaufte und den Leuten vom Lebensgut übereignete. An eine Wand hinter der Nordscheune des Guts schmierten Unbekannte daraufhin „Ökos raus“. Auf den Feldern wurden Strohballen angezündet.

Bereits vor der Aussprache hatten die Dörfler den Kanal voll

„Die Leute hatten ja schon den Kanal voll“, sagt Rosa Kreisel, als die Fremden sie für eine Aussprache zum Hoffest luden. „Die hatten nicht die schlechtesten Auffassungen“, gibt sie heute zu. Aber als sie ausgerechnet vor ihrem neu gebauten Haus, dort bei dem sanften Ackerhügel, einen „Sonnenpark“ andachten, mit Versandhaus und Öko-Erlebnis-Park, mit Ausstellungen über die Weltreligionen, „da bin ich Amok gelaufen“.

Die Situation habe sich entspannt, sagt Norbert vom Lebensgut, „ulkigerweise durch Rosa Kreisel“. Die ließ sich irgendwann darauf ein, mit den Hofleuten zu sprechen. Beim Kaffee trinken mit einer der Frauen merkte sie, dass die meisten ihrer Ängste unbegründet waren. „Und bei der hören die Leute hin, was sie sagt.“

Schicker Neubau, Fußbodenheizung, Nymphensittich, Fernseher im Heimkino-Format, Instant-Cappuccino „Typ Amaretto“ – Rosa Kreisel ist arbeitslos, keine Besserung in Sicht. Genau wie ihre Tochter, die Nachbarin, deren Tochter und so viele andere in Pommritz. Der Sohn bekommt seit drei Monaten den Lohn nicht ausgezahlt. „Wieso kriegen die ABM-Stellen bezahlt?“, fragt er. „Uns hilft doch auch niemand.“ Rosa Kreisel nimmt einen Schluck Cappuccino. „Man hatte ja immer gehofft, das zerschlägt sich mal und die geben auf.“

Und jetzt? Jetzt soll es lieber Erfolg haben als den Bach runtergehen, sagt Rosa Kreisel. „Es soll nur nicht überhand nehmen. Ich will keine Vandalen hier, wenn es an meine Substanz geht, wehre ich mich. Aber das wissen die ja auch inzwischen.“ Sie zupft ihr Haar zurecht. „Aber es stimmt schon: Solange die gefördert werden für etwas, das sie für sich selbst tun, geht das weiter mit dem Ärger.“