Jürgen W. Möllemann, der Fänger im Zeitgeist

Der Liberale schafft, was es seit der Hochphase der Grünen nicht mehr gab: die Einheit von Lebensgefühl und Wahlentscheidung

BERLIN taz ■ Dass der Sieg der FDP nicht auf sein eigenes Konto geht, weiß Wolfgang Gerhardt nur allzu gut. Der Parteichef kleidete am Tag nach dem Triumph von Düsseldorf die wenig schmeichelhafte Wahrheit in tapfere Worte. Jürgen Möllemann sei eben „ein anderer Typus des Politikmachers“, sagte der als dröge geltende Gerhardt gestern, „aber wir beide arbeiten gut zusammen“. Im Übrigen sei die FDP jetzt drittstärkste Kraft in NRW und bald auch im Bund. Nicht weniger als die „Grundachsen der Politik“ seien zurechtgerückt worden, will Gerhardt bemerkt haben. Der Mann weiß gar nicht, wie Recht er hat.

Die Achsen haben sich verschoben, doch anders, als Gerhardt meint. Zu den unwesentlicheren Entwicklungen gehört da noch, dass dem Parteichef in Möllemann über Nacht ein unliebsamer Konkurrent erwachsen ist. Auch kann es dem FDP-Chef letztlich gleichgültig sein, dass fast die Hälfte der Wähler die Landtagswahl schwänzte, denn Jürgen Möllemann konnte als Einziger dieses Prinzip „für seine Klientel durchbrechen“, wie der Politologe Ulrich von Alemann feststellte.

Gerhardts eigentliches Problem ist, dass die FDP Möllemanns Erfolge allein mit Möllemanns Rezepten wiederholen kann – ob mit, neben oder unter dem neuen starken Mann der Bundespartei. Möllemanns Rezepte sind so erfolgreich gewesen, weil sie eine Antwort bieten auf die grundsätzliche gesellschaftliche Achsenverschiebung des letzten Jahrzehnts: Möllemann macht Politik für die Spaßgesellschaft.

Nun würde es den Begriff „Spaßgesellschaft“ missverständlich verkürzen, nähme man an, die FDP-Wähler vom Sonntag hätten den Fallschirmspringer Jürgen Möllemann gewählt, weil sie sich für Extremsportarten begeisterten. Der Zusammenhang ist wohl vertrackter. Mit seinem Wahlkampf ist Möllemann gelungen, was es seit der Hochphase der Grünen nicht mehr gab: bei den Wählern die Einheit von Lebensgefühl und Wahlentscheidung zu erzielen.

Hinter diesem Lebensgefühl steht das kulturelle Milieu der Harald-Schmidt-Gesellschaft. Dort ist „Lifestyle“ nie nur eine ästhetische Kategorie, sondern immer auch eine politische. Darin unterscheidet sich diese Generation vom Politikverständnis der herrschenden 68er, seien sie rot oder grün gefärbt. Diese postulierten einst, das Private müsse politisch werden und umgekehrt. Ihre Kinder von der Spaßgeneration verstehen den Gegensatz nicht mehr. Klassische Kategorien von Politik kriegen diesen Wählertypus nicht mehr zu fassen. Stattdessen infantilisieren Politiker ihn zu „StimmungswählerIn“, als sei seine und ihre Wahl eine Frage der Hormone.

Möllemann hat diese Leute ernst genommen und ihnen eine Heimat angeboten. Mit seinem „Politik-Entertainment“ habe der Liberale „auf Aktion“ gesetzt und gerade jüngere Wähler ansprechen können, meint auch Politologe von Alemann. Der Berliner Tagesspiegel bescheinigte Möllemann, er habe „den Fun-Faktor eindeutig auf seiner Seite“ gehabt. Die Realität ist noch extremer: Möllemann ist der Fun-Faktor dieser Wahl gewesen – und genau deshalb ist er für die FDP auch in Zukunft unersetzbar.

Ohne ihn geht es künftig nicht mehr. Er ist der Fänger im Zeitgeist, der Trendjäger, der seiner Partei die Beute beschert, von der alles Leben in der Politik abhängt: Wählerstimmen. Wie lange die Einheit von Milieu und Partei vorhält, ist ungewiss. Doch kommt ihm und einer Möllemann-FDP seine Entdeckung mindestens so lange zugute, wie andere Parteien die Entwicklung verschlafen.

Am bittersten ist die Entwicklung für die Grünen – sie haben endgültig den Charakter einer Avantgarde der Parteienszene verloren. Trotzdem wird man sich dort abstrampeln, und auch die SPD sucht nach Wegen, sich der Spaßgesellschaft zu öffnen. Möllemanns Vorbild wird also eine Verschiebung des Politikstils in ganz Deutschland nach sich ziehen. Dem Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli schwante schon am Montag: „Es wird mehr Möllemanieren bei den politischen Akteuren geben.“

PATRIK SCHWARZ, NICOLE MASCHLER