Tapsen im Maschinenpark

Die Berliner Ausstellung „7 Hügel“ zeigt „Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts“. Dazu gehört der modernste humanoide Roboter der Welt: P3 kann freihändig auf einem Bein stehen – wird der Mensch nun doch ersetzbar?
von SEBASTIAN HANDKE

Hügel sind es also nur, die Bilder für das 21. Jahrhundert. Das klingt nicht gerade nach Faust'schen Proportionen. Und doch entwirft man im Martin-Gropius-Bau für die Austellung „7 Hügel“ ein gewaltiges Tableau menschlichen Wollens: frontal und mit ausreichend Überwältigungspotenzial ausgestattet, ein Kulturschock im Sinne des Wortes. Hier kann man sich verlieren im Denken, Glauben und Träumen einer Spezies, die sich nach wie vor für unverwechselbar hält.

Dass dies nicht für immer so bleiben wird, ahnt man schon beim Betreten des Lichthofes, zwischen den finsteren und stählernen Stativen der Ausstellungsabteilung „Kern“, in der es um die „Innenansichten der Zukunft“ geht. Der Kern der Dinge ist der immer noch ungeklärte Skandal von der Zufälligkeit intelligenten Lebens. Im Brainlab entstehen die „Bilder des Geistes“: Erregungswolken und Aktivierungsmuster des neuronalen Netzes. Wenn man Denken erst mal sehen kann, dann sollte man es eigentlich auch bauen können. Direkt gegenüber dieser tomographischen Installation wohnt das sichtbare Ergebnis solcher Bemühungen. Dreimal täglich wagt sich P3, der weltweit erste humanoide Roboter, von seinem gut gesicherten Podest. Der Motorenhersteller Honda hat mit dem 1,60 Meter großen und 130 kg leichten Geschöpf das erste Exemplar dieser Gattung in die Welt gesetzt, das zu dynamischem Gehen fähig ist. Die Mischung aus pflichtbewusstem Astronauten und putzigem Stormtrooper durchschreitet mit entschiedenen, aber etwas zu großen Schritten seinen Parcours und braucht noch gewaltige Denkpausen vor dem Erklimmen der Treppe. Das wirkt ungeschickt. Man möchte ihn auf der Stelle in den Arm nehmen.

Früher war es das Motiv des Zauberlehrlings, das die Diskurse vom künstlichen Wesen beherrschte, die Angst vor den Geistern, die man allerdings nur in der Fiktion zu rufen im Stande war. Und folgerichtig konnte man sich deren Schöpfer nur als mad scientist vorstellen, als ein getriebenes Medium, mittels dessen ein Schöpfungsakt sich selbst vollendet und die Rückkehr der Titanen auf den Rücken der Erde vorbereitet.

Das hat sich gründlich geändert. Die Vorstellung einer zweiten Schöpfung ist in die entfernte Nähe technischer Machbarkeit gerückt. Dabei hat der Roboter zumindest im Feuilleton massiv an Prominenz verloren. Die Robotik ist längst von der Biotechnologie rechts überholt worden: Frankenstein ist heute Gentechniker. Der Tappigkeit androider Versuchsanordnungen steht die Monstrosität des Bildes vom Menschenpark gegenüber. Glücklicherweise ist die dritte Schöpfung des künstlichen Wesens durch die Filmindustrie schon etliche Innovationsschübe weiter. Der Special Effect hat dem Robo sapiens auf der Kinoleinwand schon mal vorab die ganze Last seiner Identitätsfindung aufgebürdet. Bleibt die Frage, bis wann zukünftige Science auf den Stand heutiger Fiction gebracht werden kann. Intel-Mitbegründer Gordon Moore hat das Gesetz aufgestellt, nachdem sich alle 18 Monate die Leistungsfähigkeit der Prozessoren verdoppelt. Von dieser Formel ausgehend, drängte sich das Jahr 2029 ins Zentrum der Debatte. Dies ist nicht nur das Fixdatum in Terminator und vielen anderen Geschichten von der Zukunft. Auch KI-Forscher Ray Kurzweil geht davon aus, dass der Mensch sich im günstigsten Falle noch ca. 30 Jahre für unverwechselbar halten darf. Das statistische Bundesamt beteiligt sich auf seine Weise: Bis 2030 wird sich die Zahl der 90-Jährigen verdreifachen. Da entsteht enormer Bedarf an automatisierbarem und stressresistentem Pflegepersonal. Hans Moravec, prominenter Leiter des Mobile Robot Lab an der Carnegie Mellon University, bekräftigte auf dem diesjährigen „KI-Gipfel“ an der Stanford University seinen Glauben an das „postbiologische Leben“: Intelligente Systeme werden sich verselbstständigen und das Universum bevölkern. Den Menschen bleibt die Wahl zwischen neurotechnologischer Nachrüstung oder friedlicher Pensionierung mit dem Status einer bedrohten Gattung.

P3 kann einem schon Leid tun. Gemessen an der visionären Kraft dieser Szenarien nimmt sich seine Realität ernüchternd aus. Das Problem: Autonomie. Im Gegensatz zu Industrierobotern muss sich der Androide an komplexe Umweltszenarien anpassen können. Diese Minimalforderung für Intelligenz ist heute für Maschinen noch nicht zu haben. Der Abstand der „Robocteria“ zu den einfachsten Lebewesen ist noch groß. Bakterienforscher halten Robotiker denn auch für reichlich optimistisch.

Die Abteilung für Grundlagenforschung bei Honda Offenbach gestaltet das Innenleben des P3. Seit 5 Jahren ist man auf der Suche nach den Geheimnissen der brain-like intelligence. Auf der Spielwiese für Jungingenieure versucht man die Verarbeitungsprozesse des Zentralen Nervensystems zu verstehen und Lernfähigkeit von den neuronalen Netzen des Menschen auf die Schaltkreise der Maschine zu übertragen. Prof. Körner, Leiter des Projektes, definiert Intelligenz als „eine Technologie zur Sicherung eines optimal angepassten Verhaltens in einer sehr komplexen und sich ständig verändernden Umwelt“. Davon ist auch der P3 noch weit entfernt. Aber immerhin hat man ihm in den letzen 10 Jahren das dynamische Gehen beibringen können, eine nur scheinbare Selbstverständlichkeit, die mit der Verarbeitung einer immensen Datenflut verbunden ist – der gemeine Mensch braucht dafür schließlich auch seine Zeit.

Bei der Herstellung unflexibler und nicht autonomer Roboter wird das Zusammenspiel der Gelenke mittels einer speziellen Mathematik im Voraus berechnet. Es entsteht ein aufgabenspezifisches kinematisches Modell. Für den Fall eines flexiblen Humanoiden wie den P3 hat man es mit der ungleich schwierigeren Aufgabe zu tun, das schon gegebene und hoch komplexe kinematische Modell des aufrechten zweibeinigen Ganges in ein Gewirk von Kabeln, Sensoren und Getrieben zu implementieren.

Auf diese Weise, in der Verbindung von Neurowissenschaft und Robotik, so hofft man, wird der P3 eines Tages intelligent werden. Denn Autonomie steht im Verdacht, Voraussetzung für Lernfähigkeit zu sein. Erst selbstständige Bewegung ermöglicht handlungsbasiertes Lernen und Szenenanalyse, die intelligente Systeme wie den Menschen befähigt, auf Veränderungen in der Umwelt zu reagieren.

In seiner jetzigen Verfassung kann der P3 nicht viel mehr als gehen, Treppen steigen und auf einem Bein stehen. Doch das genügt schon, um selbst notorische Skeptiker mit wehenden Fahnen zum Animismus übertreten zu lassen.

Aber was will man eigentlich mit einem Humanoiden? Wie wichtig ist das Kindchenschema für die friedliche Koexistenz von Mensch und Maschine? Eigentlich ist der Android ein wenig aus der Mode. Die Maschinisierung des Menschen hat Priorität: der Cyborg scheint eher das Modell zur Zeit zu sein als George Lucas‘ C3-PO aus „Star Wars“. Spezialisierte Roboter, beispielsweise der selbsttätig durch die Wohnung rollende Staubsauger CyberVac, erledigen ihre Arbeit präziser und mit weitaus weniger Aufwand. Unter strikter Kollisionsvermeidung könnte des Nachts ein Geschwader dummer Kleinmaschinen arbeitsteilig unliebsame Hinterlassenschaften beseitigen. Das Golem-Projekt der Brandeis University Massachusetts hat sich vom Zwang zur Anthropomorphie frei machen können. Hier träumt man von polymorphen Robotern, die ihre Form verändern und auf neue Aufgaben ausrichten können. Letztendlich soll dieses „Rapid Prototyping“ zu frei-evolutionärer Selbstreplikation zweckbestimmer Mutanten führen. Aber da ist sie wieder: die Horrorvision unkontrollierbarer Geister. Nur was menschlich oder wenigstens niedlich aussieht, meint es gut. Gesucht ist: mans best friend.

Und da gibt es verschiedene Konzepte. Zum einen die Haustierchen. Mit dem Tamagotchi hat es begonnen: Jedem sein Tierchen, aber scheißen soll es bitte schön nur virtuell. Derselben Logik folgen die Wasser-Bots des japanischen Spieleherstellers Takara: Fisch, Hummer und Qualle gleiten träge und kollisionsfrei durchs Wasser. Schon etwas anspruchsvoller: Sonys purzelnde Aibo-Welpen. Sie haben zuletzt den Robocup der fußballfähigen Roboter gewonnen und sind ebenfalls im Gropius-Bau zu besichtigen.

Zum anderen sind da die Service-Roboter im eigentlichen Sinne. Da wären zunächst die Medizinroboter, die noch am ehesten die Präsenz unerbittlicher Industrierobotik haben. Im März diesen Jahres durfte in der Berliner Charité erstmals ein solcher „Robodoc“ den Kopf eines (lebenden) Menschen schraubend bearbeiten. Schon etwas mobiler, aber bedeutend hässlicher sind die Care-o-bots des Fraunhofer Instituts Stuttgart. Die äußerlich eher schlichte Fahrkommode reagiert auf das Klingeln der Mikrowelle und serviert das Erwärmte mit seinem Greifarm. Und dann gibt es noch Klaus. Der im Rahmen des Projekts „Autonomes Fahren“ von VW und TU Braunschweig entwickelte Roboter kann selbstständig jedes Serienfahrzeug steuern. Ein Humanoid wie P3 kann beides: Niedlichkeitssehnsucht befriedigen und Müßiggang mehren.

Am Anfang von Bicentennial Man, der jüngsten filmischen Auseinandersetzung mit dem künstlichen Menschen, steht das Bedürfnis des wohlhabenden Vaters nach einem freundlichen Androiden (Robin Williams) für die Hausarbeit und als Garant brutalstmöglicher Behaglichkeit im Spiel mit den Kindern. Dass dieser sodann nichts anderes im Kopf hat, als es den Menschen gleich zu tun, ist einmal mehr anthropozentrisches Prozac gegen den drohenden Verlust der Illusion von der Einzigartigkeit.

Der verlorene Kampf um Subjektivität wird nun dem Maschinenmenschen aufgenötigt. Um mit dem Stigma der Sterblichkeit endgültig Menschenstatus zu erreichen, stattet sich der Bicentennial-Robotnik eigenhändig mit biomorphen Organen aus. Erst diese Menschmaschine ist es, die wie einst Frankenstein ausrufen darf: „Nun weiß ich, was es heißt, Gott zu sein!“ Statt dessen bittet NDR-114 beim Weltgericht um seine offizielle Anerkennung als Sterblicher.

Bis dahin hat das P3-Forscherteam noch einen langen Weg vor sich. Dennoch wurde man vorsichtshalber im Vatikan beim Kardinal für Wissenschaftsfragen vorstellig. Er jedenfalls hatte keine Einwände.

7 Hügel - Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts, bis 29. 10., im Martin-Gropius-Bau, Berlin

Hinweis:Der P3-Roboter braucht noch gewaltige Denkpausen vor dem Erklimmen einer TreppeMit dem Tamagotchi hat es begonnen: Jedem sein Tierchen, aber scheißen soll es bitte nur virtuell