Persönlich auf den Tisch gelegt

Jahrelang lagerten 20.000 Stasi-Abhörprotokolle bei früherem „Quick“-Journalisten. Dieser will Helmut Kohl Akten gegeben haben. Der kann sich nicht erinnern. Nun will ihm der CDU-Untersuchungsausschuss auf die Sprünge helfen

von KARIN NINK

Irgendwie kommt uns das bekannt vor. Wenn es für Altkanzler Helmut Kohl eng wird, verweigern seine kleinen grauen Zellen offenbar automatisch den Dienst. „Keinerlei Erinnerung“. Jetzt hat ihn sein Gedächtnis wieder im Stich gelassen. An die Stasi-Abhörprotokolle, die der damalige Quick -und heutige Focus-Redakteur Paul Limbach ihm im Herbst 1990 übergeben hat, kann sich Kohl nicht erinnern. Der Journalist hat die Übergabe des „zwei bis drei Zentimeter“ dicken Papierstapels gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft in Karlsruhe zugegeben. Die hatte bei Limbach am vergangenen Mittwoch rund 20.000 Seiten Stasi-Abhörprotokolle beschlagnahmt und ermittelt wegen des Verdachts der Offenbarung von Staatsgeheimnissen. Limbach hatte die Unterlagen 1990 von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern erhalten.

Die Dossiers sind der bisher größte bekannte Bestand von Stasi-Akten in privater Hand: Aufzeichnungen über dienstliche und private Telefongespräche heute führender westdeutscher Politiker und Wirtschaftsvertreter – darunter Bundeskanzler Gerhard Schröder, Finanzminister Hans Eichel, Innenminister Otto Schily und Außenminister Joschka Fischer. Die meisten Unterlagen beziehen sich laut Spiegel auf die alte Bundesregierung. Umso erstaunlicher, dass es nur ganz wenige Dossiers über den Kanzler der Einheit gab – galt er doch als besonders beliebtes Abhörobjekt.

Wieso also fehlen Protokolle über Kohl? Ganz einfach, sagte Limbach. Er habe im Herbst 1990 diese Papiere aussortiert und dem Kanzler persönlich auf den Tisch gelegt. „Das war viel privates, für die Öffentlichkeit uninteressantes Zeug.“ Der einzige Zeuge, Quick-Chefredakteur Richard Mahkorn, bestätigt die Version. Doch Kohl hat „keinerlei Erinnerung“. Zwar räumt er ein, ihm hätten immer mal wieder Leute Abhörprotokolle gezeigt, in denen es möglicherweise auch um ihn ging. Aber er selbst besitze keine. Hat er nie welche besessen, oder besitzt er nur heute keine mehr?

Die letzte Variante könnte für Kohl peinlich werden. Mit Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes hätte er die Abhörprotokolle unverzüglich an die zuständigen Behörden weiterleiten müssen. In der Gauck-Behörde sind sie aber nicht aufgetaucht. Verstöße gegen das Gesetz werden mit einer Geldstrafe von bis zu 500.000 Mark geahndet.

Schon bei der Flick-Affäre 1985 entging Kohl unter Hinweis auf ein „Blackout“ einer Anklage wegen Falschaussage. Seine erneute Gedächtnislücke lässt sein Bemühen, die Herausgabe der Stasi-Akten an den Untersuchungsausschuss zum CDU-Finanzskandal mit allen Mitteln zu verhindern, in neuem Licht erscheinen.

Der Untersuchungsausschussvorsitzende Volker Neumann (SPD) will Kohl denn auch nicht so einfach davonkommen lassen. Zwar will er die sichergestellten Akten nicht hinzuziehen. Aber wenn Kohl im Juni aussagt, „will ich von ihm wissen, ob er von der Existenz der Abhörprotokolle gewusst hat“. Bisher hat Kohl immer betont, er wolle umfassend aussagen. Das hatte er 1985 auch gesagt – und dann kam das Blackout.

Hinweise:Wenn es für Kohl eng wird, verweigern seine kleinen grauen Zellen den DienstKohl hat die Abhörprotokolle zwar gesehen, aber nicht besessen