Kleine Armee, mehr Krieg?

Die Zukunft der Bundeswehr (1): In Deutschland fällt die Wehrpflicht, und Frauen dürfen in Zukunft Soldaten werden. Dass beides gleichzeitig passiert, ist alles andere als ein Zufall

von KARIN GABBERT

Tobias Röstel würde so gerne mal in einem Jagdflugzeug fliegen. „Mich interessiert diese gigantische Technik, so nach dem Motto ‚Schneller, höher, weiter‘.“ Er ist der Sohn von Gunda Röstel, die Vorstandssprecherin der Grünen ist. „Ich möchte nicht so gerne Zivildienst im Krankenhaus oder Altersheim machen. Ich glaube, ich könnte das einfach nicht.“

„Süddeutsche Zeitung“, 8. 5. 2000

Sich für den Bund entscheiden, weil der Zivildienst einem zu großen Respekt abverlangt – das ärgert eine Menge Leute, patriotisch gesinnte Christdemokraten wie pazifistische Kriegsdienstgegner. Zumal die Strategie, sich zur Armee zu melden, um nicht eingezogen zu werden, aufgehen könnte – schlägt doch die Weizsäcker-Kommission zur Reform der Bundeswehr vor, nur noch 30.000 von 300.000 wehrfähigen Männer pro Jahrgang für den Wehrdienst auszulosen.

Der eigentliche Kern von Weizsäckers Reformvorschlägen ist, die defensiv ausgerichtete Verteidigungsarmee zugunsten einer Interventionsarmee für internationale Einsätze zu verabschieden. Das findet bei Angelika Beer, Verteidigungsexpertin der ehemals pazifistisch gesinnten Grünen, großen Beifall, während der früher großmachtorientierten CSU die Haare zu Berge stehen. Dort wünscht man sich offenbar den starken Nationalstaat zurück. Die Arbeitsgruppe für ein Verteidigungskonzept der Partei prüfe, ob die Abwehr nichtmilitärischer Bedrohungen auch im Inland, etwa von Terroristen, zu den neuen Aufgaben der Bundeswehr gehören könnte, meinte der CSU-Sicherheitsexperte Christian Schmidt. Die Grünen sind zwar moderner, machen es sich aber ähnlich leicht. Soll die neue Bundeswehr Interessen verteidigen? Eigene oder die von Bündnispartnern? Rohstoffquellen? Da äußert man sich lieber grünenkompatibler: Die „Krisenreaktionskräfte“ sollen zur „Krisenprävention“ eingesetzt werden.

Das erklärt nur scheinbar, wozu die Bundeswehr nach dem Kalten Krieg noch gut sein soll. Die eigentlichen Fragen bleiben im Nebel: Nach welchen Kriterien sollen die Nato-Staaten intervenieren? Wer soll das entscheiden? Im Kosovo ja, in Tschetschenien nein, in Mosambik zu spät, und in Sierra Leone retten britische Truppen nur weiße Ausländer? In gewisser Weise beugt sich auch der Weizsäcker-Vorschlag nur dem Status quo: Die Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr werden auf dem Balkan auf Jahre beschäftigt sein. Die Regierung hat sich aber bei den Bündnispartnern verpflichtet. Also braucht man eine zweite interventionsfähige Mannschaft um – ein rot-grünes Lieblingswort – „handlungsfähig“ zu bleiben.

Die Grünen loben die Weizsäcker-Kommission vor allem, weil sie die Bundeswehr verkleinern und die Wehrpflicht faktisch abschaffen will. Vielleicht hält man „Reduzieren“ und „Wehrpflicht abschaffen“ bereits für Friedenspolitik. Dabei sagt beides ohne eine neue Definition von Sinn und Zweck der Bundeswehr überhaupt nichts aus. Will man eine kleinere Bundeswehr, die aber viel öfter in den Krieg zieht? Dass die Bundeswehr ohne Wehrpflicht friedlicher würde, ist genauso unsinnig wie die Annahme, dass die Gesellschaft über die Wehrpflichtigen das Militär kontrolliert. Natürlich zahlen Regierungen einen höheren Preis, wenn sie Wehrpflichtige in Kriege schicken. Kein Wunder, dass die Wehrpflicht in den USA nach dem Vietnamkrieg nicht mehr zu halten war. Auf der anderen Seite kontrolliert das Militär aber einschneidend das Leben von jungen Männern. Es ist nur scheinbar paradox, dass sich wirklich besorgte Stimmen aus der Bundeswehr mehren, die die Wehrpflichtigen als Brücke zur zivilen Gesellschaft und als interne Kontrolle behalten wollen.

Hier schimmert durch, dass die Wehrpflichtarmee mehr ist als eine militärische Organisation – nämlich ein kollektiver Mythos. Ähnlich wie im Generalstreik, in dem, so die Idee, die Arbeiter zum kollektiven Subjekt, zur Klasse, verschmolzen, sollte die Wehrpflicht die Einheit zwischen Männern und Nationalstaat herstellen. Nur wer in der Armee diente, durfte auch wählen. Die Offiziere bekamen so eine neue Rolle. Im Feudalismus waren sie eine aristokratische Kaste, jetzt mussten sie im Interesse der Nation passive Individuen zu aktiven Bürgern machen.

Der Militärsoziologe Maury Feld sagt, dass der Offizier umso mehr Macht besitzt, je größer die Mobilisierung ist. Diese gesellschaftliche Macht verliere der Offizier, sobald er eine Freiwilligenarmee befehlige. Die (Staats-) Ideologie trete dann in den Hintergrund, Technik in den Vordergrund. Kein Wunder, dass Frauen – übrigens nicht nur in Deutschland – genau dann zum Militär zugelassen werden: Wenn die Wehrpflicht verschwindet und die Bedeutung der Streitkräfte für die Staatsbürgerschaft schrumpft, dürfen auch Frauen schießen.

Gleichzeitig müssen die Offiziere heute anderes können: Sie sollen nicht mehr junge Männer zu Bürgern und Soldaten erziehen, dafür werden sie wieder stärker zum (High-Tech-)Kämpfer. Dieser neue Typus Soldat verkörpert einen neuen Staats- oder auch Gesellschaftstypus. Der Wehrdienstleistende repräsentierte ursprünglich die um Einheit ringende, männliche Nation – der neue, flexible Soldat verkörpert die globale Konkurrenzgesellschaft. Darin ist auch für Frauen Platz. In den USA sieht man, dass sich der Einsatz von Männern und Frauen als KriegerInnen bestens mit den Werten der individualisierten Leistungsgesellschaft verträgt. Gleichzeitig kämpfen die Streitkräfte weiter mit allen Mitteln darum, Frauen aus dem als männlich definierten „Kampf“ herauszuhalten.

Natürlich ist die Wehrpflicht spätestens seit Ende des Kalten Kriegs überholt. Mehr als eine gute Idee scheint die grüne Forderung nach dem Ende der Wehrpflicht bisher nicht zu sein. Leider hoffte man offenbar auch, über diese scheinbar einfache Formel die komplizierte Diskussion über Frauen in der Bundeswehr zu umgehen, die in der Partei für Zündstoff sorgen würde. Dass man Frauen den Zugang zu einer Berufsarmee nicht verwehren kann, scheint ja Konsens zu sein. Damit entschärft man das Problem, ob man Frauen dazu verpflichten will, im Dienste des Staates zu töten, oder ob weiterhin nur Männer dazu verpflichtet, dadurch aber auch viel stärker legitimiert sind. Aber selbst wenn man die Bundeswehr als normalen Arbeitsplatz behandelt, ist es blauäugig, zu glauben, dass Frauen sich dort nun problemlos integrieren ließen. Die Truppe wird drastisch verkleinert werden.

Das heißt: Mehr Männer werden um weniger Arbeitsplätze konkurrieren – und das auch noch mit Frauen. Außerdem schafft es bisher noch jedes Militär der Welt, Frauen den Zugang zu den „männlichen“ Toppositionen zu verwehren. Trotzdem klammern sich auch die Grünen an die Formel „Frauen sollen gleichberechtigten Zugang zur Bundeswehr erhalten“. Das mit der Lösung des Problems zu verwechseln ist zumindest naiv. Die wirkliche Debatte beginnt jenseits davon – die interessante, komplizierte Diskussion über Frieden, Gewalt, den Staat und was das alles mit Männern und Frauen zu tun hat.

Hinweise:Die Wehrpflichtarmee ist mehr als eine Organisation. Sie ist ein kollektiver MythosDer neue, flexible Soldat verkörpert die globale Konkurrenzgesellschaft