Wahlkämpfer drücken sich

An Euthanasie beteiligter Kinderarzt Ibrahim bleibt vorerst Jenaer Ehrenbürger. CDU, SPD und FDP wollen erst nach der OB-Wahl am Sonntag entscheiden

JENA taz ■ Die thüringische Universitätsstadt Jena leistet sich weiter einen Mittäter am Euthanasie-Mordprogramm der Nazis als Ehrenbürger. Der Stadtrat lehnte am Mittwoch erneut eine Entscheidung darüber ab, dem Kinderarzt Jussuf Ibrahim (1877 bis 1953) die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen.

Ibrahims Mitverantwortung für die Tötung von sieben behinderten Kindern während der Nazizeit ist erwiesen – er hatte sie in die Klinik Stadtroda überwiesen, in der behinderte Kinder systematisch getötet wurden. Ibrahim verzichtete dabei sogar auf den offiziell von den Nazis vorgegebenen „Dienstweg“ aus Meldepflicht und „neutraler“ Begutachtung. Entsprechende Forschungsergebnisse hatte die Universität Jena vor Ostern öffentlich gemacht. Ibrahim ist seit 1947 Ehrenbürger der Stadt.

Der Vorschlag, den Arzt nicht mehr als Ehrenbürger anzusehen, kam diesmal von den Grünen. CDU, SPD und FDP sorgten einträchtig dafür, dass er von der Tagesordnung gestrichen wurde. Es bestehe noch Beratungsbedarf, argumentierte Oberbürgermeister Peter Röhlinger (FDP). Doch gerade eine solche inhaltliche Debatte wurde durch das Geschäftsordnungsmanöver verhindert. Bereits Ende März hatte Röhlinger seinen Vorschlag zur Aberkennung der Ehrenbürgerwürde zurückgezogen.

Eigentlicher Grund für das Zaudern ist der kommende Sonntag – der Termin der Oberbürgermeisterwahl. Neben dem Amtsinhaber treten Bewerber von CDU, SPD, FDP, PDS und einer Wählergemeinschaft an, lediglich die Grünen stellen keinen Kandidaten. Der CDU-Beigeordnete Dietmar Haroske hatte vor vor der Stadtratssitzung unverhohlen gesagt, im Wahlkampf und mit Blick auf Prozente könne man das Thema Ibrahim nicht angemessen diskutieren. Kommentar des grünen Fraktionsvizes Dieter Mann: „Wählt uns erst mal, hinterher sagen wir, wie wir uns entscheiden.“

Von einem bereits gehandelten Termin für eine Ibrahim-Sondersitzung nach den Wahlen war am Mittwoch allerdings schon keine Rede mehr. KATRIN ZEISS