Zivildienst in neuem Gewand

Statt des für Wehrdienstverweigerer verpflichtenden Zivildienstes setzen die Bündnisgrünen auf den freiwilligen sozialen Dienst

aus Berlin NICOLE MASCHLER

Wenn es um die eigene Position zur Zukunft des Zivildienstes geht, sprechen Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen gerne von „Konversion“. Der Begriff, sonst für die Umwandlung militärischer Anlagen in zivile Nutzung gebräuchlich, ist irreführend. Denn von Umwandlung kann keine Rede sein. Tatsächlich stellt der grüne Fraktionsbeschluss, den der zivildienstpolitische Sprecher Christian Simmert gestern in Berlin präsentierte, nichts anderes als den Einstieg in den Ausstieg dar: Langfristig will die Partei die Wehrpflicht völlig abschaffen – und den Zivildienst gleich mit.

Die vorab bekannt gewordenen Pläne der Wehrstruktur-Kommission haben Bündnis 90/Die Grünen alarmiert. Sie sehen die Wehrgerechtigkeit in Gefahr, sollten die Vorschläge umgesetzt werden. Bisher stehen 135.000 Wehrpflichtigen rund 138.000 Zivis gegenüber. Die Weizsäcker-Kommission will künftig nur noch 30.000 junge Männer zum Bund schicken – über die Zivis kein Wort.

Grüne: Der Zivildienst behindert die notwendige Reform des Sozialstaats

„Jetzt ist der Zeitpunkt da, über die Bedeutung des Zivildienstes zu diskutieren“, forderte Simmert denn auch bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers. Laut Wehrpflichtgesetz legitimiert sich der Zivildienst bisher ausschließlich aus dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung. Nach dem Willen der Grünen soll er künftig eine eigenständige Bedeutung erhalten. Allerdings in einem neuen Gewand: Statt des verpflichtenden Zivildienstes setzen die Grünen künftig auf den freiwilligen sozialen Dienst.

Nach Auffassung der Grünen stellt der Zivildienst vor allem aus zwei Gründen ein Auslaufmodell dar: Er widerspreche nicht nur dem Recht auf Selbstbestimmung, sondern behindere auch die dringend notwendige Reform des Sozialstaates. „Der Zivildienst hat sich zum Ausfallbürgen für den Gesundheits- und Pflegebereich entwickelt.“

Doch die Grünen wissen selbst, dass sich ihre Vorstellungen nicht von einem Tag auf den anderen verwirklichen lassen. Obwohl der Zivildienst oftmals als Anhängsel des Wehrdienstes erschien, räumte Simmert ein, sei der Pflegebereich längst abhängig von den Zivis.

Die Grünen wollen denn auch schrittweise vorgehen. Zunächst solle die Arbeitskräftesituation im sozialen Bereich analysiert werden. Pflegeleistungen müssten auch künftig sichergestellt werden, so Simmert. Die Bundesrepublik solle sich nicht von sozialen Dienstleistungen verabschieden, sondern nur von den „Zwangsdiensten“.

Wichtig ist die gesellschaftliche Akzeptanz von freiwilliger Arbeit

Wie das funktionieren soll, davon haben die Grünen ziemlich konkrete Vorstellungen. Der „Zivildienst-Etat“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, intern Haushaltsplan 17 genannt, beträgt derzeit zwischen 2,5 und 2,7 Milliarden Mark. Geld, das der Bund aus Sicht der Grünen besser in den Umbau des sozialen Sektors stecken sollte. Die Rechnung scheint einleuchtend: Ein Zivi kostet den Bund und die jeweilige Dienststelle 32.000 Mark im Jahr. Würde stattdessen ein Arbeitsloser beschäftigt, sparte die öffentliche Hand 11.000 Mark an Sozialhilfe und Arbeitslosengeld. Bund, Länder und Kommunen würden 7.500 Mark Steuern einnehmen – unterm Strich Einnahmen in Höhe von 50.500 Mark. Statt die Milliarden für Zivis und Arbeitslose auszugeben, könnten nach internen Gutachten der Wohlfahrtsverbände rund 90.000 reguläre, tariflich entlohnte Arbeitsplätze geschaffen werden. Auf eine Formel gebracht: „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren.“

Rekrutierung fehlender Fachkräfte durch Ausbildungsmaßnahmen

Gleichzeitig wollen die Grünen das freiwillige Engagement junger Leute anschieben. Voraussetzung sei, dass die gesellschaftliche Akzeptanz von freiwilligen Diensten steigt. Das Engagement müsse stärker honoriert werden – etwa durch die Anrechnung von Praktika auf Wartezeiten beim Studium oder gar auf Rentenzeiten. „Die Frage, wo jemand seinen sozialen Dienst absolviert hat, muss Bestandteil der beruflichen Qualifikation werden.“ Mit Freiwilligkeit hätte das allerdings so wenig zu tun wie bisher der Zivildienst. Am Ende, so die Hoffnung der Grünen, würden junge Männer den Wehr- und Zivildienst nur noch freiwillig absolvieren.

Anfang Mai hatte sich bereits eine Expertengruppe im Familienministerium gebildet. Doch was die Grünen fordern, ist nicht weniger als eine „Zivildienstkommission“ auf ministerieller Ebene. In ihr sollen Vertreter der Ministerien, von Wohlfahrts- und Naturschutzverbänden, Kommunen, Kranken- und Pflegekassen sich mit der Frage befassen, wie die Umstrukturierung „auf Heller und Pfennig“ umzurechnen sei. Auch auf die Frage, wie fehlende Fachkräfte durch Weiterbildung, Qualifizierung und Umschulung sowie verstärkte Ausbildungsmaßnahmen rekrutiert werden können, soll die Kommission eine Antwort finden. Mit dem Koalitionspartner SPD gebe es bereits erste Gespräche.

Hinsichtlich des Zeitrahmens hält sich Simmert bedeckt, schließlich erfordert ein solch radikaler Umbau des Sozialstaates Fingerspitzengefühl. „Wir stehen in der Verantwortung, dass es keine Angstdiskussion in Deutschland gibt.“