„Wir waren die Maulhelden“

■ Günther Kahrs, Faktotum aus dem Viertel, findet heute Lebensfreude sehr viel wichtiger als Steinewerfen

Günther Kahrs ist „Meister Propper“ und der Motor der Subkultur im Viertel, Aktionskünstler und – wie es sich für einen ordentlichen Bremer gehört – gelernter Außenhandelskaufmann. Auch dem Landesvorstand der Bremer Grünen gehörte er zeitweise an. Der Mann mit der stadtbekannten Glatze war zarte 28, als er die Ausschreitungen miterlebte.

taz: Haben Sie ein Andenken an den 6. Mai, einen Pflasterstein zum Beispiel?

Günther Kahrs, Ex-Sponti: Ja, hab' ich. Der liegt im Treppenhaus, damit das Fenster nicht zuschlägt.

War er im Einsatz?

Also, ich hab' selbst keine Steine geschmissen. Ich war so'n Typ, der letztendlich Gewalt indirekt gefördert hat, weil wir die Maulhelden waren, die gewaltbereiten Maulhelden.

Das klingt nach großer persönlicher Distanz zu dieser Zeit.

Na klar. Ich hab' doch den Verein für Lebensfreude und Dada. Wer Gewalt sät, wird Gewalt ernten. Die Demonstration an sich, die war ja positiv. Die Anti-AKW-Bewegung ging zu Ende, und dann die Provokation, das erste Mal in Bremen ein Gelöbnis abzuhalten, das war, als ob Koschnick der Bewegung 'nen Druck gesetzt hätte, ein Aufbäumen. Anti-Kriegs-Bewegung, so wurde das in Bremen genannt.

Wie haben Sie den 6. Mai erlebt?

Ich war direkt am Stadion und zum Schluß eingesperrt. Also erstmal bin ich mitgelaufen; die Lüneburger Straße sind wir hochmarschiert und dann oben links zum Weserstadion. Dann ist rechts ein Teil DKP, KPD auf die Wiesen und der andere Teil, der gewaltbereite, ist direkt zum Stadion.

Und die Polizei?

Gewaltbereit waren beide Seiten. Die Polizisten haben mit Steinen geschmissen, und die Demonstranten haben mit Steinen geschmissen. Die Situation ist entglitten. Da war nur ein ganz harter Kern von Leuten unter den Demonstranten, die gewaltbereit waren. Der Rest, der mitgelaufen ist, befürchtete das wohl, hat es aber in Kauf genommen. Du konntest jede Form von Gewalt anwenden, ob Autos umwerfen, anstecken, mit Steinen werfen – es gab keine direkte Gegenwehr, auch nicht von den Demonstranten.

Günther Kahrs gehörte dazu.

Die Ausschreitungen gingen weiter, 15.000 Leute auf der Straße, man konnte nicht mehr nach Hause, wenn man hier im Viertel gewohnt hat. Die Polizisten sind prügelnd durch alle Nebenstraßen gezogen, weil die eben so viel auf die Mütze bekommen haben.

Warum organisieren Sie jetzt, nach zwanzig Jahren, eine Gedächtnis-Party?

Erstmal zur Unterstützung von Werder am 6. Mai. Das war ja die Hauptparole, das große Transparent vorneweg bei der Demo. Wir sind durch's Viertel gezogen mit „Werder - si, Nato - no!“, also so, wie jetzt nur noch die PKK durch's Viertel läuft, mit dieser Massivität. Das hatte es vorher noch nie hier gegeben in Bremen.

Es war schon ein einschneidendes Erlebnis für Sie?

Jaja, und auch mit den „Scherben“ dabei, so ungefähr wie zum letzten Gefecht war das so.

Und daran wollen Sie erinnern.

Wir erinnern in dem Sinne daran: „Nehmen Sie sich was raus!“ Aber ob Gewalt das richtige ist, das ist eben die Frage. Man kann nicht mit Gewalt Gewalt verhindern.

Die politischen Parolen von damals sind Ihnen fremd?

Ich kann das verstehen. Die, die sie gebrauchen, meinen es gut. Aber gut gemeint hat mit „gut“ nichts zu tun. Wer sich selbst nicht kennt, und seine eigene persönliche Geschichte nicht verarbeitet hat, der kann nicht für andere Menschen auf die Straße gehen.

Fragen: Milko Haase