zwischen den rillen
: Mikrokosmen der Elektronikszene: Isolée aus Frankfurt

IM SCHEIN DES BILDSCHIRMS

Vor uns die Weltkarte, Arena der Globalisierung, im Geist sehen wir alles verbindende Ströme von Waren, Geld und Daten. Es rauscht über Grenzen hinweg und nivelliert die Unterschiede. Fokussieren wir den Blick, relativiert sich diese Annahme. Denn selbst in der internationalisiertesten und wegen ihrem weitgehenden Textverzicht am leichtesten zu verbreitenden Musik unserer Zeit, der Technomusik, ist die Herkunft einzelner Stücke überraschend leicht zu erkennen. Einen Technotrack aus Birmingham wird man nicht mit einem aus Detroit oder Neapel verwechseln, die Regionalität ist in die allgemein verständlichsten Rhythmustexturen eingewebt.

Lassen wir den Blick von deutscher Mittelgebirgshöhe aus schweifen. Hamburg, München, Berlin, Köln und Frankfurt – jede Stadt sogar hat nach wie vor ihren speziellen Sound. Lokaler Stallgeruch gibt maßgebliches Profil. Zieht man zum Beispiel im Frankfurter Bahnhofsviertel, in dem ich zufälligerweise wohne, um die Ecken, kann sich der Eindruck einstellen, man durchschreite ein Reservat für aktuelle Clubmusik, so auffallend ist die Dichte der ansässigen Labels, DJs, Produzenten. Wenn ich jetzt aus dem Fenster blicke, schaue ich in die Gemächer eines der Betreiber der Plattenfirma Playhouse, der, nebst vielerlei anderer Aktivitäten, für das viel gerühmte Grafikdesign dieses Labels zuständig ist. Im Lauf des letzten Jahres sah ich ihn und Rajko Müller des Öfteren zu später Stunde im Schein des Computerbildschirms sitzen. Letzterer hat unter dem Namen Isolée einige viel versprechende Maxis auf Playhouse veröffentlicht, und die Welt wartete auf das Debütalbum. Ich schloss aus den konzentrierten Gesichtern der beiden, dass es bald erscheinen würde. Jetzt ist es da. Das CD-Design mag in seiner Reduziertheit nicht ganz dem offensichtlichen Zeitaufwand entsprechen. Nichts als der Projektname und der Albumtitel „Rest“ glänzen in goldenen Lettern vom weißen Grund, aber schön ist es und zeigt, wie genau hier jede Wendung abgewogen und lieber zu wenig als zu viel geäußert wird.

Rajko Müller, ein eher versteckt agierender Mann, der Interviews und Fototerminen bislang aus dem Weg gegangen ist, hat von seiner 1998 erschienenen Maxi „Beau Mot Plage“ angeblich 20.000 Exemplare verkauft. „Beau Mot Plage“ verzückt die Clubszene mit einem fließenden Gitarrenlick, dessen südländische Herkunft dem Stück einen sonnigen Sambaflair verleiht. Der darunter liegende House-Rhythmus ist präsent genug, um es szenemäßig anzubinden. Das Arrangement verzichtet auf Stimmungseffekte, es ist eher aufgelöst und findet wie durch zufällig scheinende Wendungen immer wieder zum Leitmotiv zurück.

Diese offene Form ist charakteristisch für Isolée, wobei seine Stücke nie frickelig sind. Das Labelprogramm gibt den Fokus auf den Club und die Tanzfläche vor. Das bislang einzige Album unter dem Firmensignum kann sich nicht allzu viele Freiheiten erlauben. Aber das ist genau der Rahmen, in dem Isolée seine Stärken ausspielen kann. Diese Musik ist für viele gedacht und gemacht und selbst da, wo es seltsam wird, bleibt der einladende Gestus bestimmend. So fängt „I owe you“ mit einem leiernden Sprechgesang an, der sich auch noch eine Weile entgegen dem schon eingesetzten Rhythmus hinzieht. Aber der das Stück charakterisierende Keyboardriff, der zudem überraschenderweise sehr an den in „Spirits in the material world“ von Police erinnert, übernimmt nach und nach das Feld und lässt nicht mehr locker. Diese Spannung ist es, die dieses Album durchzieht und ihm über die einige Male vorkommenden Längen hinweg hilft. Es ist die Spannung zwischen einer ungestüm auftrumpfenden Partystimmung und einer unfreiwillig akademischen Klangforschung – dem jeweils noch nutzbaren Rest lässt Isolée freies Spiel.

MARTIN PESCH

Isolée: „Rest“ (Playhouse/Efa/Neuton)