Auch in Südasien droht eine Hungerkatastrophe

Fünfzig Millionen Inder sind wegen Dürre von akutem Wassermangel betroffen. In Afghanistan wurden 200.000 Menschen evakuiert

NEU-DELHI taz ■ Die Dürre, die die Länder am Horn von Afrika überzieht, hat sich auf den indischen Subkontinent ausgeweitet. Vom südlichen Afghanistan bis nach Orissa im östlichen Indien haben die geringen Niederschläge des letzten Jahres und ein frühes Einsetzen der Sommerhitze zur Austrocknung des Grundwassers und der Reservoire sowie zum Verdörren der Frühjahrsernte geführt.

Besonders betroffen sind die indischen Wüstenstaaten Gudscherat und Radschastan. Während der Monsunzeit in den letzten beiden regnete es hier noch weniger als sonst. Bereits Ende Februar begannen viele Brunnen auszutrocknen. Inzwischen hat die Dürre dramatische Formen angenommen. In Radschastan musste in 26 von 32 Bezirken der Notstand ausgerufen werden. Die Zahl der Menschen, die ihren ausgetrockneten Grund und Boden verlassen, geht in die Hunderttausende. In Gujerat sind 103 der 142 großen Wasser-Reservoire ausgetrocknet. Viele Dörfer sind auf die Versorgung durch Tankwagen angewiesen. Berichtet wird aber auch von Frauen, die zehn Kilometer weit laufen müssen, um einen Behälter mit Wasser zu füllen. Die lokalen Behörden befürchten den Ausbruch von Epidemien, weil immer mehr Leute verseuchtes Wasser trinken. Der indische Premierminister Vajpayee rief seine Landsleute zu Spenden auf. Den fünfzig Millionen Betroffenen stellte er Soforthilfen in Form von Lebensmittellieferungen in Aussicht. Aus Stolz hat die Regierung aber bisher davon abgesehen, die internationale Gemeinschaft um Hilfe zu bitten.

In Afghanistan dagegen können die herrschenden Taliban nicht auf eigene Ressourcen zurückgreifen. Der akute Mangel an Tierfutter und Wasser in den drei südlichen Provinzen Helmand, Arzagan und Kandahar bedroht offiziellen Angaben zufolge mehrere zehntausend Menschen. Über 200.000 Personen seien bereits evakuiert worden. Der internationale Wirtschaftsboykott gegen Afghanistan und die durch ihn ausgelöste Preissteigerung von Weizen haben die Krise weiter verschärft.

In Indien musste die Krise einmal mehr in voller Wucht losbrechen, bevor die Regierung aufwachte. Politiker und die städtischen Eliten hatten nach zwölf guten Monsunjahren und Rekordernten vergessen, dass sich die Niederschlagsmengen höchst unterschiedlich über den Subkontinent verteilen. Auch in Jahren mit regelmäßigem Regenfall beträgt der Niederschlagspegel in Gudscherat und Radschastan nur ein Drittel des Landesdurchschnitts. Zwei Drittel des bebauten Landes in Indien sind vom Regen abhängig. Jahrelang versuchte die Regierung, hier durch künstliche Bewässerung eine „grüne Revolution“ zu initiieren. Erst in den letzten Jahren wurden traditionelle Formen der Wasserlagerung im Einzugsgebiet von Flusskäufen wieder aufgenommen. BERNARD IMHASLY