Beamtenbolognese

Wenn Polizisten gegrillt werden, verstehen Schweizer Staatsanwälte keinen Spaß. Neues über die Posse um das Splattervideo „Blutgeil“

von ROLAND SEIM

Unsere benachbarte Alpenrepublik pflegt bekanntlich das Selbstverständnis des Sauberen, Übersichtlichen und Unabhängigen. Unliebsame Themen wie Drogen, Raubgold, Langeweile oder Selbstmordrate sieht der Eidgenosse in seiner scheinbaren Fränkli-, Schoki- und Käsefondue-Idylle nicht so gerne. Wie die Staatsgewalt bei Zuwiderhandlung reagieren kann, mussten einige Underground-Filmemacher jetzt in Zürich erfahren. Sieben Jahre nachdem ihr Homemade-Streifen „Blutgeil – Zurich Cop Eaters“ das Licht der Öffentlichkeit erblickte, sitzt mit „Seelenlos“, einem der beiden Produzenten, der erste der vier inkriminierten Ekelerreger seit diesem Monat im Gefängnis.

Damit erreicht eine Justizposse ihren Höhepunkt, die im April 1994 mit einer Hausdurchsuchung und der Beschlagnahmung dieses 20-minütigen Videos durch die Bezirksanwaltschaft Zürich und Beamte des „Büros für politisch motivierte Straftaten“ der Stadtpolizei Zürich begann. Ein Jahr später konnten Proteste und Stellungnahmen namhafter Künstler ein Verbot durch das Schweizer Obergericht nicht verhindern. Die Richter sahen in der drastischen Fiktion eine reale Gewaltverherrlichung und verurteilten die Angeklagten zu Geldstrafen. Wegen Zahlungsunfähigkeit wurde die Geldbuße nun in 33 Tage Haftstrafe umgewandelt. Nachdem einige Unterstützer anlässlich des Haftantrittes eine „Blutbad“-Performance im Stil der Wiener Aktionisten vor den Toren der Vollzugsanstalt Urdorf aufgeführt hatten, wurde der Gefangene in das verrufene Flughafengefängnis Zürich verlegt.

Die aus der Hausbesetzerszene kommenden Splatterfans der „Hegibach Productions“ ahnten wohl schon Ungemach, als sie ihren als „Underground-Ketchup-Comedy“ gedachten No-Budget-Kurzfilm unter Pseudonymen (Regisseur „Lö Lee“) herausbrachten. Der in der Anarchoszene Zürichs spielende filmische Extremspaß überzeichnet bewusst alle Klischees: Weder die metzelnden Uniformierten noch das polizeiliche Gegenüber – drogensüchtige Terroristen und sonstige subversive Elemente – taugen so recht als Sympathieträger.

Zum Inhalt: Nach einem Anschlag auf die Vereidigungsfeier der Drogensonderabteilung der Stadtpolizei Zürich rächen sich die zwei überlebenden Beamten „Adolf Wichser“ und „Hermann Spiesser“ brutal an den Junkies, die sich zu wehren wissen, bis es mehrere Liter Tomatenblut später in der Hausbesetzer-WG „Bullenarsch à la surprise“ gibt.

Man mag den wenig geschmackvollen Brachialhumor postpubertär und die filmische Direct-to-Video-Umsetzung dilettantisch finden – die rigide Repression der Staatsgewalt mutet trotz des hohen Zumutungsgehaltes überzogen an. Ob es sich um Kunst (wie die Produzenten behaupten) oder staatsgefährdende Gewaltorgien handelt, stellt eine müßige Geschmacksfrage dar. Die Äußerungen des Staatsanwaltes Dr. Hohl bei der Gerichtsverhandlung, „Kultur muss positiv sein!“ und sollte nicht dem „maßgebenden Geschmack der Mehrheit“ zuwiderlaufen, deuten allerdings auf ein fragwürdiges Kulturverständnis der Autorität hin.

Die Vermutung, weniger die krude Handlung mit ihren simplen, aber effektvollen Splatterszenen sei der Verbotsgrund, sondern vor allem politische Motive, ist da nicht ganz von der Hand zu weisen – das Bild der sauberen Schweiz und ihrer wackeren Ordnungshüter wird schon ziemlich besudelt.

Doch dass hier erstmals das Gewaltdarstellungsverbot durch den umstrittenen Artikel 135 des Schweizer Strafgesetzbuches angewendet wurde, stellt eine neue Qualität bei der Verfolgung von missliebigen Filmen dar. Bereits 1989 kritisierten Künstler wie Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch in einem offenen Brief an den Nationalrat den neu geschaffenen „Brutalo-Artikel“ als Instrument eines „Staatsdirigismus“ und als „eindeutige Kulturzensur“.

Aber machen wir uns nichts vor: Auch hierzulande ist es mit der Zensurfreiheit nicht so weit her, wie in einer postmodernen Informationsgesellschaft zu vermuten wäre. Die kostspieligen und langwierigen Übergriffe gegen den „Alpha Comic Verlag“ oder die Berliner Videothek „Videodrom“ sind nur die Spitze des Eisberges aus Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und Prozessen.

Was kaum jemand weiß: In Deutschland unterliegen derzeit über 420 Medienprodukte einem gerichtlichen Totalverbot, darunter rund 140 Filme wegen Pornografie oder Gewalt (zum Beispiel „Tanz der Teufel“ und „Das Böse“). Zudem stehen mehrere tausend Videos, Tonträger, Comics, Bücher, PC-Spiele, Online-Angebote etc. auf dem Index der Bonner „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften und Medieninhalte“. Einige Schweizer Kantonsbehörden sind dazu übergegangen, die deutschen Bannsprüche einfach zu übernehmen.

Zwar tut ein vernünftiger Jugendschutz fraglos Not, aber es werden längst nicht nur menschenverachtende und faschistische Objekte indiziert. So dürfen zum Beispiel Bücher wie „Naked Lunch“ von William S. Burroughs, „Politik der Ekstase“ von Timothy Leary oder Bret Easton Ellis’ „American Psycho“ weder beworben noch offen verkauft noch per Post versandt werden. Im Musikbereich unterliegen u.a. Peter Toshs LP „Legalize it!“, viele der frühen „Ärzte“-Scheiben oder die Maxi-CD „Frohes Fest“ der Fantastischen Vier einem strengen Jugendverbot. Kein Grund also für Überheblichkeit!

Nähere Infos zum Fall „Blutgeil“ im Internet unter: www.blutgeil.com und bei: SSI Media, Postfach 2122, CH-8031 Zürich.Roland Seim ist Autor mehrerer Bücher über Medienzensur, u. a. mit Josef Spiegel (Hrsg.): „Ab 18 – zensiert, diskutiert, unterschlagen“, Band 1 und 2, Münster, 59,80 DM, sowie Roland Seim, „Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen“, Münster, 29,80 DM, beide Telos Verlag