Tony, hol den Schnuller raus

Cherie Blair hat es nach konservativer Meinung geschafft, das Interesse auf das Thema Gleichberechtigung zu lenken
von RALF SOTSCHECK

Das Kind werde noch zur Schule gehen, wenn er längst pensioniert sei, sinnierte der britische Premierminister Tony Blair neulich. Aber bis es so weit ist, sollte der vierte Blair-Nachwuchs, der am 24. Mai erwartet wird, noch für ein paar Pluspunkte bei der Wählerschaft gut sein. Seit die Nachricht von Cherie Blairs Schwangerschaft Ende letzten Jahres bekannt wurde, ist kein Tag vergangen, an dem nicht irgendeine Zeitschrift sich mit dem Bauch der First Lady beschäftigt hat.

Nun hat die 45-jährige werdende Mutter, die sich am liebsten aus der Öffentlichkeit fernhält, den Diskussionen neue Nahrung gegeben. Sie erwarte von ihrem Mann, dass er dem Beispiel des finnischen Premierministers Paavo Lipponen folgen und Vaterschaftsurlaub nehmen werde, sagte sie. Da sie nie etwas sagen würde, was ihrem Mann peinlich sein könnte, muss Tony Blair seinen Segen dazu gegeben haben. Schließlich hat seine Regierung im Dezember beschlossen, Vätern nach der Geburt ihrer Kinder bis zu 13 Wochen unbezahlten Urlaub zu gewähren.

Dass die Schwangerschaft eine Staatsaffäre ist, zeigt allein die Tatsache, dass Alastair Campbell, Tony Blairs „Spin Doctor“ und Pressesprecher, als erster von den Blairs informiert wurde. Campbell wartete einen günstigen Zeitpunkt ab, und als sich Blairs Intimfeind Ken Livingstone um die Labour-Kandidatur für das Londoner Bürgermeisteramt bewarb, wurde er von dem Fötus aus den Schlagzeilen verdrängt. Danach sorgte Campbell dafür, dass die zunächst verbreitete Meldung von der Zeugung in Italien korrigiert wurde: Es sei nicht in der Toskana passiert, wo sich die Blairs kennen gelernt und ihre Flitterwochen verbracht hatten, sondern in der Downing Street. Das erste Baby eines amtierenden Premierministers seit mehr als hundert Jahren ist nicht im Ausland, sondern quasi im Amt gezeugt worden und gehört, wie die Königinnenenkel, der Nation. Nigella Lawson schrieb im Observer: „England in freudiger Erwartung“.

Für Cherie Blair, die in ihrem Beruf als Rechtsanwältin ihren Mädchennamen Booth benutz, ist Alastair Campbells Freundin Fiona Millar zuständig. Ihre Aufgabe ist es, der First Lady die Presse vom Leib zu halten. „Die Journalisten hätten es gern, wenn sie die Regierung kritisieren würde“, sagt Fiona Millar. „Sie würden sie gern als Lady Macbeth hinstellen. Und sie soll ihnen Geheimnisse über ihr Leben mit Tony erzählen. Aber warum sollte sie das tun?“ Nur einmal, kurz nach den Wahlen vor drei Jahren, hat Cherie nicht aufgepasst und im Nachthemd die Tür geöffnet. Draußen standen die Paparazzi.

Cherie Blair-Booth habe „ihre Stellung als akzeptables Gesicht des modernen Feminismus konsolidiert“, fand Natasha Walter im Independent. Sie hält die Forderung nach Urlaub für Blair geradezu für eine Revolution, die demnächst auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden müsse, dann werde sich auch die Einstellung der Männer ändern. Und das Beste daran: Cheries Image habe so gar nichts Revolutionäres an sich, meint Natasha Walter: „Das ist eben moderner Feminismus!“

Früher ist die Presse hart mit ihr ins Gericht gegangen. Ihre Frisur wurde bemängelt, ihre Figur ebenso, mal war ihre Kleidung zu schäbig, mal war sie zu teuer. Und dann wurde sie gerügt, weil sie keinen Hofknicks vor der Königin gemacht hatte. Nach der Wahl vor drei Jahren schrieb Peter Hitchens, der Reporter vom rechten Express, sarkastisch: „Natürlich ist sie viel klüger als er.“ Cherie Booth hatte 1983 bei den Unterhauswahlen kandidiert und bei der Vorauswahl Tony Blair geschlagen, konnte aber den Sitz nicht gewinnen.

Seit der Schwangerschaft sind die rechten Blätter ganz sentimental. „Cherie, der Hausfrauen-Superstar“, schrieb der Spectator. Ihre Kinder seien stets sauber und ordentlich, und sie schaue zu ihrem Ehemann auf. „Sie ist ein Energiebündel, ein Vorbild dafür, was britische Frauen im 21. Jahrhundert erreichen können, ohne auf Mutterschaft zu verzichten.“

Das Boulevardblatt Daily Mirror überlegte, dass der Vaterschaftsurlaub schon allein deshalb notwendig sei, um das Kind als Newcastle-Fan, Blairs Lieblingsfußballklub, zu erziehen, anstatt Opa Tony Booth das Feld zu überlassen, der es auf den FC Liverpool einschwören würde.

Die Regenbogenpresse nimmt den New-Labour-Chef Blair als neuen Vater unter die Lupe. Bei den Geburten von zwei seiner drei Kinder war er dabei, und auch diesmal will er in den Kreißsaal. „Man fühlt sich ziemlich nutzlos“, wird er zitiert, „aber ich bin froh, dass ich dabei war. Es ist gut für die Partnerin. Cherie ist der Felsen, auf dem mein Leben aufgebaut ist. Ohne sie hätte ich das alles nicht geschafft.“ Die perfekte Familie eben. Tony und Cherie haben sich bei einer Party kennen gelernt, erinnert sich der Observer, als sie bei einem Spiel einen Luftballon durch die Beine des anderen schieben mussten.

Selbst die erzkonservative Daily Mail ist neuerdings auf Cherie Blairs Seite. Sie habe Recht, schrieb das Blatt: Haushalt und Arbeit seien eine Doppelbelastung für Frauen. Die Zeitung klagte mehr Rechte für arbeitende Eltern ein, eine Forderung, die einzig auf die neu entdeckte Verehrung für Cherie Blair zurückzuführen ist. Natasha Walter meinte, Cherie habe es geschafft, die Aufmerksamkeit von sich auf Themen wie Gleichberechtigung zu lenken. Alle Augen seien nun auf Tony Blair gerichtet. „Well done, Cherie Booth“, jubelte Walter.

Mary Kenny wirft Cherie Blair im Guardian dagegen vor, mit 45 noch an den Weihnachtsmann zu glauben: „Werde endlich erwachsen, Cherie: Männer machen keine Hausarbeit.“ Ihre Hirne seien eben anders gepolt, Kinderversorgung und Haushaltsführung seien dabei nicht vorgesehen. Cheries Feminismus basiere auf dem Irrglauben der Siebzigerjahre, menschliches Verhalten werde durch soziale und kulturelle Konditionierung geprägt: „Erzieht kleine Jungen wie Mädchen, und wir ziehen eine Generation neuer Männer heran, die mit Puppen spielen, Röckchen tragen und den Konsens dem Konflikt vorziehen“, höhnte Kenny. In Wahrheit sehen Männer Schmutz einfach nicht, und wenn doch, dann stört er sie weniger. Untersuchungen hätten ergeben, dass Jungen länger als Mädchen dreckige Windeln tolerieren. Männer machen auch seltener als Frauen die Toilette sauber, nur homosexuelle Männer sind eine Ausnahme. All das wird also schon im Mutterleib festgelegt, schlussfolgert Kenny, bringt aber Verständnis für Cherie Blairs Forderung nach Vaterschaftsurlaub auf: Für Mütter seien Babys eben wichtiger als Politik.

Richard Ingram, der ebenfalls für den Guardian schreibt, will mit der ganzen Diskussion um Vaterschaftsurlaub nichts zu tun haben: „Vaterschaftsurlaub? Zu welchem Zweck? Das ist doch eine fragwürdige Sache, weil Neugeborene ohnehin die meiste Zeit schlafen.“ Die Blairs würden ein Kindermädchen einstellen, und nach einem Monat werde Cherie an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Danach bekomme keiner der beiden Elternteile das Baby sehr oft zu Gesicht. „Warum sollte irgendjemand beeindruckt sein, wenn Herr Blair sich etwas frei nimmt, um bei Frau Blair zu sein? Das Ergebnis ist, dass die Blairs noch alberner dastehen als ohnehin schon.“ Es werde Zeit, dass Schatzkanzler Gordon Brown den Job übernehme.

Julia Langdon vom Observer findet, dass Blair schon immer ein ganz normaler Vater gewesen sei. Nachdem er Premier geworden war, blieb Kathrin, die Jüngste, trotz des Umzugs in die Downing Street auf ihrer Schule. Blair besuchte voriges Jahr ein Schulkonzert, eingequetscht auf einem schmalen Kindersitz in der Schulaula wie die anderen Väter auch. Die gingen nach dem Konzert nach Hause und schalteten wahrscheinlich den Fernseher ein. Auch Blair ging nach Hause in die Downing Street, aber nicht um fernzusehen. Er befahl an dem Abend die Bombardierung Jugoslawiens, schrieb Julia Langdon und zitierte Cherie Blair: „Meine Kinder sollen nicht mit der Vorstellung aufwachsen, sie seien etwas besonderes, nur wegen der Sachen, die ihr Daddy macht.“

Hinweis:England in freudiger ErwartungDas erste Baby eines amtierenden Premierministers seit über hundert Jahren gehört quasi der Nation