Liebe, Luft und Libido

Diese Stadt hat Geschichte gemacht, aber nicht meine: Ralf Bönts Berlin-Roman „Gold“
von GERRIT BARTELS

Berlin ist die aufregendste Stadt der Welt. Eine richtige Metropole, eine Glamour-City. Tagein, tagaus schallen solche Sprüchlein aus berufenen und weniger berufenen Mündern. Doch es scheint auch, als fremdelten die meisten Kiez-Berliner in der schönen, neuen Friedrichstraße, als wollten sie nicht so recht passen ins Quartier 206 und die Läden von Donna Karan und Gucci. Und die zugezogenen, die Berliner, die vor fünf, zehn oder fünfzehn Jahren gekommen sind, haben es auch nicht leicht. Ist halt so eine Sache mit der Metropole, wenn sich Herkunft und Mentalität nur schwer verleugen lassen und immer wieder dazwischenfunken.

Auch Hans Zork, ein Held aus Ralf Bönts neuem Roman „Gold“, tut sich schwer. Er ist nach Berlin gekommen, weil es ihm ihn Frankfurt zu „unwirklich“, zu „künstlich“ wurde, weil es plötzlich „Frankfurt nach vorne“ hieß. Einerseits schreckte ihn das aus seiner Ruhe auf, anderseits empfand er die Stadt plötzlich als langweilig und Berlin „eh spannender als alles andere“.

Einige Jahre allerdings später beschäftigen Hans vor allem zwei Probleme: Seine Eltern kommen Weihnachten zu Besuch, und seine Freundin Anna hat ihn mit einem Stricher betrogen. So kann das gehen, und überhaupt: „Hans Zork, der ist eher unspektakulär.“

Der 37 Jahre alte, aus Bielefeld stammende und in Berlin lebende Schriftsteller Ralf Bönt hat ein Faible für unspektakuläre Helden. In seinem Debütroman „Icks“ schickte er seinen gleichnamigen Helden von Berlin aus zurück in dessen Heimat, nach Bielefeld, wo dieser den Ursprung für seine Probleme mit dem Erwachsenwerden und dem Karrieremachen verortet sah: Ein Scheiterer, wie er nicht nur in einem Buch stehen kann, ein sehr frustrierter Slacker, dem die kleinbürgerliche Herkunft aus der tiefdeutschen Provinz in Geist und Seele klebte.

Die Protagonisten in „Gold“ (das Buch hatte Bönt übrigens schon vor „Icks“ fertig) sind noch nicht so weit wie Icks. Genau wie dieser schleppen auch sie einen Haufen Gerümpel in ihren Biografien mit sich herum. Anders als Icks aber sind sie weit davon entfernt, diesen wegzuräumen, nicht einmal versuchsweise. „Hans und Tumbaga, eigentlich auch Lotte und Plech, finden wir immer bloß libidinös und aus ähnlich minderen Überlegungen, wenn sie das Maul auftun, produzieren sie Pathos.“ Hans ist mit Anna zusammen, Lotte mit Doro, Lotte und Hans kennen sich von früher, Doro betrügt Lotte mit einer anderen Frau, Anna betrügt Hans mit dem Stricher, Hans und Lotte rächen sich, indem sie auch wieder miteinander schlafen.

Viel mehr widerfährt ihnen nicht in dieser Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Das aber reicht, um sie unsicher zu machen, orientierungslos und auch ein bisschen einsichtig wie Lotte: „Die Stadt hat Geschichte gemacht“, sagt Lotte einmal, „aber nicht meine, und wird auch nie meine machen.“

Bönt schreibt in „Gold“ an den großen Rissen entlang, die sich auftun zwischen dem unentwegt gesporteten Metropolenanspruch und der grauen Wirklichkeit der meisten Menschen. Das wirkt in seiner literarischen Konstruktion zuweilen etwas bemüht: Bönt erzählt in der Wir-Form, wenn es um Berlin und „D-Land“ geht. „Wir“, das sind die, die anpacken, die mit den Zeiten gehen, die auf Leute wie Hans und Lotte herabschauen, aber auch die, die „vor dem Fernseher sitzen und wichsen“, die Spießer. Ihnen gegenüber stehen „die anderen“, Bönts eigentliche Helden, die mal erzählen, mal „von uns“ erzählt werden. Hin und her geht diese Erzählweise, was mitunter kompliziert ist, dann aber auch wieder Sinn macht, da Bönt umso umfassender ein Berliner Sittenbild entwerfen kann, unzählige Missverhältnisse inklusive. Denn das „kleine Dasein“ von Hans Zork, Doro, Lotte und Anna lässt sich mit den neuen Zeiten nicht in Deckung bringen. Bönts vier „Möchtegernhauptstädter“ haben keine besonders enge Beziehung zu ihrer Stadt. Sie stehen am Rande oder irgendwo dazwischen, zwischen den Zeiten und zwischen den Jahren: „Vier Versager, die aneinander kleben.“

„Was also bleibt!“ heißt dann das dritte und letzte Kapitel des Buches. Nichts, wie es scheint, Bönt hat eine 150 Seiten lange Auslöschung geschrieben. Alle sind tot, mit Luft, Liebe und Libido lassen sich Geld, Gold und Geschichte einfach nicht produzieren, und die Metropolenwerdung findet anderswo statt.

Ralf Bönt: „Gold“. Piper-Verlag, München 2000, 152 Seiten, 28 DM