Im Café der Veteranen

Sie treffen sich jeden Samstag im Café Versailles in Little Havana: Castros alte Feinde

aus Miami PETER TAUTFEST

Einen Augenblick steht die rechte Hand still wie ein Falke hoch über Tassen und Tellern, rüttelt bedrohlich, um dann herabzustoßen, sich aus dem Steilflug abzufangen und mit ausgefahrenem Zeigefinger auf die Gesichterreihe am anderen Tischende zuzuschießen. Vier Augenpaare folgen nachdenklich dem Flugmanöver der Hand und dem Mienenspiel ihres Besitzers. Hier und da regt sich Widerspruch, der zunächst aber respektvoll abwartet.

Das ist kein amerikanisches Café, wenn es auch auf der Calle Ocho in Miami steht. Wo würde je in Amerika derart leidenschaftlich über Politik diskutiert, und das stundenlang über abgegessenen Tellern und hinter sich kräuselndem Rauch?

Elian: eine neue Niederlage im Kampf gegen Castro

Die Kellnerin bringt ungefragt noch fünf Cafecitos. „Amerikaner machen pragmatische und nicht programmatische Außenpolitik, das heißt nicht, dass sie gar gegen uns wären“, doziert Rolando. „Wir haben eben nie den Kampf wirklich in die eigene Hand genommen“, erwidert Alexis Martinez. „Seit 40 Jahren schauen wir jetzt zu“, nimmt Rolando wieder das Wort, „von den Republikanern haben wir erwartet, dass sie uns Kuba auf dem Silbertablett zurückgeben, letztlich aber ist das keine Frage von Parteien, denn die nächste Regierung wird Castro anerkennen, egal ob Republikanisch oder Demokratisch, und wir werden keinen Grund haben, uns verraten zu fühlen.“

Das Wort Elián fällt in dieser Runde nicht. Diskutiert wird, als läge die unvermeidliche Rückgabe des aus der Karibischen See gefischten Sechsjährigen bereits weit in der Vergangenheit und wäre weiter nichts als noch eine Niederlage im Kampf gegen den bärtigen Diktator am anderen Ende der Meerenge von Florida.

Jeden Sonntag treffen sich im Café Versailles auf Miamis 8th Street in Little Havana fünf alte Männer. Sie gehören zur AVMS, der Vereinigung der Veteranen besonderer Einsätze. Sie haben bessere Tage gesehen: als sie jung waren und gebraucht wurden, als sie im Sold der CIA standen und sich verschworen, Feldzüge planten und Anschläge ausführten – und Weltpolitik machten.

Heute leben sie von den Erinnerungen an ihre geheimen Missionen und tollkühnen Aktionen. Der Älteste, Rolando Eugenio Martinez, der Wortführer der Gruppe, ist 77 und ist seit 1961 in Miami, der Jüngste, José Llerena, ist 55 und erst 1993 herübergekommen. Rolando Eugenio ist als ältester und ehemals ranghöchster CIA Agent die Autorität in dieser Runde. Weißes Haar türmt sich auf seinem Kopf wie eine Kumuluswolke, die großen Gläser, die bei den erregten Ausführungen auf seiner Hakennase nach unten rutschen, lassen seinen Blick noch intensiver erscheinen. Er ist ein berühmter Mann. Für den, der's nicht glauben will, hat er im Kofferraum seines Autos wie in einer Zeitkapsel die Reliquien und Fossilien seines Lebens beieinander: Ein zerlesenes Exemplar von „Halot's Ghost“, dem Roman Norman Mailers über die CIA – Rolando kommt auf Seite 1.035 vor, und das ist nicht das einzige Buch, in dem er gewürdigt wird. Ein Revolver erscheint, wenn er in den Papieren und Büchern kramt, und dann zieht er die wichtigste Trophäe seines aktiven Lebens hervor: den handsignierten Brief Präsident Reagans, der Rolando für seine herausragenden Leistungen im Dienste Amerikas dankt.

Die Diskussion kreist jedes Wochenende darüber, warum Fidel Castro sie wahrscheinlich alle überleben wird, obwohl sie ihr Bestes im Kampf gegen ihn gegeben haben. In der Gruppe haben sich zwei Parteien gebildet, deren eine Rolando, die andere Alexis Rodriguez anführt. Mit 60 ist Alexis ein noch vergleichsweise junger Mann in diesem Kreis. Die Bitterkeit, die sein Gesicht verfärbt, ist nicht nur der Galle der größten Enttäuschung seines Lebens geschuldet, sondern auch einem schweren Nierenleiden. Alexis ist ein sterbender Mann, der seine Heimat nie wiedersehen wird. „Die USA sind zur zweiten Verteidigungslinie Castros geworden – nach seinem eigenen Geheimdienst“, sagt er, „die CIA hat alle unsere Organisationen infiltriert. Die dritte Stütze des Castro-Regimes aber sind wir inzwischen selber. Die kubanische Gemeinde in Miami überweist jährlich eine Milliarde Dollar nach Kuba. Und wir, die erste Generation der Kämpfer, wir sind zu einer Minderheit unter unserem Volk geworden.“

In den USA ausgebildetund nach Kuba geschleust

Die Geschichte aller fünf Männer – und die der meisten der 382 Mitglieder der AVMS – ist mit der Revolution und Konterrevolution auf Kuba verbunden. Rolando Martinez und Armando Ortega waren mit Castro gleichzeitig auf der Universität von La Havana und befanden sich in Opposition zum Regime Fulgencio Batistas. Rolando musste schon unter dem alten Diktator 1957 nach Miami ins Exil. 1959 nach Havanna zurückgekehrt, floh er ein zweites Mal, als Castro sein Vermögen, eine Möbelfabrik, ein Krankenhaus und ein Hotel, konfiszierte.

Alexis Rodriguez war achtzehn und in der Marine, als Castro an die Macht kam. Bei einem Besuch einer sowjetischen Flotteneinheit wurde er eines Tages abgestellt, einen russischen Offizier durch Havanna zu begleiten. „Wir sind tagelang durch die Stadt gelaufen und haben uns angefreundet. Am Ende hat der mich gefragt: ,Wozu habt ihr eigentlich eine Revolution angefangen, ihr habt doch alles?‘ Der hat sich Schuhe und Hemden in Havanna gekauft, Möbel und Konserven. Als ich später gefragt wurde, ob ich zur Militärakademie nach Moskau wollte, habe ich dankend abgelehnt, ich wusste schon alles, was es über die Sowjetunion zu wissen gab.“

Eines Tages dann wurde Alexis von einem Kameraden angesprochen, ob er Sprengstoff verbergen könne. „Ich wusste sofort, von wem das kam und wofür es bestimmt war.“ Alexis wurde wie alle seine Stammtischgenossen nach Miami geschleust, in den USA ausgebildet und zurück nach Kuba gebracht. „Zweitausendvierhundert und elf Einsätze habe ich geleitet“, sagt er, und es klingt fast resigniert, „kaum jemand in Miami weiß davon – und nicht in erster Linie weil es geheim wäre, sondern weil es niemanden mehr interessiert.“

Alexis war 1961 an der gescheiterten Schweinebuchtinvasion beteiligt, und das letzte Mal, dass er aktiv wurde, war, als in Chile Salvador Allende gestürzt werden sollte. „Die USA planten in Kuba eine Störung, um von der Zuspitzung der Krise in Chile abzulenken. Doch dann überstürzten sich die Ereignisse in Santiago, und in Kuba wurden wir nicht mehr gebraucht.“ Der Mohr hatte seine Pflicht getan, der Mohr konnte gehen. Das ist's, was Alexis wie bittere Galle im Magen liegt: „Die USA haben uns nie wirklich helfen wollen“, sagt er. „Kennedy und Chrustschow haben nach der Kubakrise einen Deal gemacht. Kennedy hat für den Raketenabzug versprechen müssen, Kuba nicht anzutasten.“

Das Gerücht: Kennedy hatdie Exilgemeinde verraten

Rolando kann im Gespräch mit Alexis jedes Mal erneut in Rage geraten, als widerspräche er ihm zum ersten Mal, und die Leidenschaft, mit der er redet, lässt die Energie ahnen, mit dem er ein Leben lang ein einziges Ziel verfolgt hat. „Unter Kubanern hält sich hartnäckig das Gerücht, Kennedy hätte uns verraten, weil er die Schweinebuchtinvasion abgebrochen hat. Das ist völlig falsch. Er hat den Einsatzplan von Eisenhower geerbt, und der erwies sich einfach als falsch. Kennedy hat uns zu neuen Einsätzen gedrängt“, sagt Rolando, jedes Wort betonend, „und auch Bobby Kennedy stand zu uns. An dem Tag, als John F. Kennedy in Dallas erschossen wurde, befanden wir uns auf dem Weg zu einer Aktion in Kuba.“

Rolando zählt die Waffen auf, die sie dabei hatten. „Wir haben die Mission auf die Nachricht von Kennedys Tod hin abgebrochen.“ Nach einer Pause, die ihn der Aufmerksamkeit seiner Zuhörerschaft versichern soll, spricht Rolando seinen Glaubenssatz aus, und er bringt ihn mit der Emphase hervor, mit der man eine Trumpfkarte auf den Tisch legt: „Wenn Kennedy noch lebte, wäre Kuba heute frei.“ Alexis schüttelt nur den Kopf.

Nach dem Ende des Krieges der CIA gegen Castro sah Alexis sich in Miami um, fand einen alten Kampfgenossen, der in der Bauindustrie tätig war, und übernahm für ihn kleinere Büroarbeiten, dann wurde er beauftragt, Holz zu beschaffen. Daraus ist sein Holzimportgeschäft geworden. Er kauft auf der ganzen Welt Mahagoni und Zedernholz – von Brasilien bis Malaysia, von Mexiko bis Australien. „Die Kubaner haben Miami zu dem gemacht, was die Stadt heute ist“, sagt er mit einer Handbewegung Richtung Fenster. Hinter der Glasscheibe ist die von kubanischen Geschäften gesäumte, verkehrsreiche 8th Street zu sehen, auf der sich jedes Jahr im März eine Million Latinos zum kubanischen Karneval versammeln.

Alexis ist wohlhabend und würde doch allen Wohlstand für die Freiheit Kubas geben. Gefragt, ob ihn seine Arbeit befriedigt, senkt er den Kopf. „Nein, das vorher hat mehr Spaß gemacht.“ Der Lebensstil in Miami habe seine Familie nur verwöhnt. „Meinen Sohn, heute 32, unterweise ich in kubanischer Geschichte und lehre ihn kubanische Kultur, zu Hause wird nur spanisch gesprochen, aber die Kubaner der zweiten Generation sind ganz normale Amerikaner geworden und interessieren sich nur noch für das viele Geld, das man in Miami machen kann, und für die Annehmlichkeiten des American Way of Life. Dasselbe gilt auch für alle, die jetzt als Flüchtlinge ankommen. Sie wollen alle nur schnell Amerikaner werden und Kuba vergessen.“

Kuba vergessen. Das könnte Alexis nicht. Nie. Seine größte Sorge ist, dass Castro im Bett sterben könnte: „Ich möchte seinen Tod befördern. Ein gewaltloses Ende Castros wäre wie eine unverdiente Frucht – das hätte Kuba nicht verdient.“ Er wird melancholisch: „Der historischen Prüfung des 20. Jahrhunderts waren wir nicht gewachsen.“

Für Rolando Eugenio tat sich noch mal eine Verwendungsmöglichkeit auf, als Nixons Wahlkampfbüro 1972 das Gerücht in Umlauf setzte, der demokratische Präsidentschaftskandidat McGovern erhalte heimlich Geld aus Kuba. Rolando bekam von der CIA den Auftrag, ins Wahlkampfhauptquartier der Demokraten im Watergate-Komplex in Washington einzubrechen und Unterlagen zu stehlen. „Das war für mich selbstverständlich, das war mein Dank für alles, was Amerika für uns getan hat.“ Amerika dankte es ihm erst in Person von Ronald Reagan. Nach seiner CIA-Zeit arbeitete Rolando als Immobilienmakler und Gebrauchtwagenhändler. Zu Reichtum ist aber auch er gekommen.

Die Insel Kuba: ein Gefängnis voller Kubaner

Gingen sie zurück nach Kuba, wenn Castros Regime abdanken würde? „Kuba liegt heute in Miami“, sagt Armando Ortega, der meist Alexis' Partei ergreift, „die Insel Kuba ist nur noch ein Gefängnis voller Kubaner.“ Einer nach dem anderen stehen sie auf und verabschieden sich von der Kellnerin – bis zum nächsten Samstag. Zu den Demonstrationen vor dem Haus des kleinen Elián Gonzales sind diese Männer nie gegangen. Der unsägliche Streit um das Kind? Für sie ein hoffnungsloses Gefecht in einem Krieg, der lange verloren ist. Die Sorge der alten Männer aus dem Café Versailles ist nicht mehr dieser Krieg, sondern nur noch die Frage, warum er scheiterte.