Nationale Erziehung blockiert

Auch den Franzosen fallen Bildungsreformen schwer. Jack Langs Vorgänger als Erziehungsminister hat in der Schuldebatte alle gegen sich aufgebracht

PARIS taz ■ Die Republik fußt auf zwei Säulen, so hieß es jahrzehntelang in Frankreich: der Armee und der nationalen Erziehung. Seit der Abschaffung des Militärdienstes (der auch republikanische Grundwerte vermittelte) ist nur die nationale Erziehung geblieben. Doch auch die ist weit von den egalitären Idealen ihrer Gründer entfernt: Weil Franzosen, die es sich leisten können, ihre Kinder auf private Einrichtungen schicken; weil zwischen den staatlichen Schulen heute tiefe soziale Gräben klaffen.

Während im vornehmen 15. Arrondissement von Paris die Mehrzahl der Schüler weißhäutig ist und Eltern hat, die ihren Lebensunterhalt als Anwälte, Politiker oder Wissenschaftler verdienen, ist das Französische in manchen Schulen in der Arbeitervorstadt St. Denis die Zweitsprache. Hier stellen Langzeitarbeitslose unter den Eltern die Mehrheit. Schulversagen und Gewalt gehören zum Alltag.

In der angespannten Atmosphäre der Schulen in den „heißen Vorstädten“ Frankreichs war Anfang dieses Jahres zuerst der Unmut gegen die Reformpläne von Erziehungsminister Claude Allègre laut geworden. An einem Tag im März demonstrierten schließlich mehrere hunderttausend Menschen dagegen.

Der Sozialist, der das Kunststück vollbracht hatte, fünf verfeindete Lehrergewerkschaften in eine unitäre Aktion zu treiben, und auch noch einen Teil der – durchaus lehrerkritischen – Elternschaft mit ihnen zu vereinen, musste die Regierung verlassen. In seinen zweieinhalb Amtsjahren hatte Allègre zwar die Probleme der „nationalen Erziehung“ – Schulversagen, überforderte Lehrer, veraltete Unterrichtsinhalte – richtig benannt. Doch sein „Reformprogramm“ brüskierte alle. Er nannte es „Dezentralisierung“. Die Grundschule wollte er in die Aufsicht der Gemeinden, die Realschule in die der Departements und die Gymnasien in die der 22 Regionen übergeben.

Gewerkschaften und zahlreiche linke und rechte Politiker nannten diesen Ansatz ein „Abschieben des Problems.“ Lehrer zeigten sich überzeugt, dass diese „Dezentralisierung“ die Ungleichheiten in der nationalen Erziehung noch verstärken würden. Am Ende hätten die „heißen Vorstädte“ noch schlechtere Schulen und die Innenstädte noch bessere. Allègre bellte zurück: Die Lehrer würden ihre Privilegien verteidigen und seien fortschrittsfeindlich. Heraus kam eine totale Blockade. Und das, obwohl fast alle Franzosen sich einig sind, dass die „nationale Erziehung“ dringend reformbedürftig ist. DOROTHEA HAHN