„Die Schmerzgrenze ist erreicht“

Renate Backhaus, ehemaliges Bundesvorstandsmitglied der Grünen, hat die Partei verlassen. Sie wirft den Grünen zu große Kompromissbereitschaft vor. „Bei der Atompolitik sind wir auf dem falschen Weg“

taz: Warum sind Sie aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen ausgetreten?

Renate Backhaus: Meine Schmerzgrenze war mit den Beschlüssen zur Atompolitik auf dem vergangenen Parteitag erreicht. Dreißig Jahre Laufzeit für Atomkraftwerke sind viel zu viel. Die Grünen hätten längst die Koalitionsfrage stellen müssen. Sie hätten auf einer kurzen Laufzeit, die dem Sofortausstieg nahekommt, bestehen müssen. Dann würden in dieser Legislaturperiode noch etliche Atomkraftwerke abgeschaltet. Über die Einzelheiten des Atomausstieges wie die Endlagerung und die Wiederaufarbeitung wird nicht mehr politisch entschieden, sondern das wird alles mit der Industrie ausgehandelt.

Aber müssen Sie nicht befürchten, dass kein einziges Atomkraftwerk abgeschaltet würde, wenn die rot-grüne Koalition auseinander bräche?

Beim derzeitigen Stand der Entwicklung ist auch nicht sichergestellt, dass ein einziges AKW in dieser Legislaturperiode abgeschaltet wird.

Was müsste Umweltminister Trittin anders machen?

Ich trete nicht wegen Trittin aus. Aber von der Partei habe ich erwartet, dass sie mehr Druck auf die Regierung macht.

Sie schreiben in Ihrem Brief an die Partei, dass die Grünen vor lauter Kompromissbereitschaft ihre eigene Identität verlieren. Wo war das der Fall?

Zum Beispiel bei der Altautoverordnung. Damals gab es Einigkeit unter den EU-Ministern, und Kanzler Schröder wies Umweltminister Trittin an, er solle die Verordnung ablehnen. Das Schlimme ist, dass sich die Partei deswegen nicht gerührt hat. Sie hätte sagen müssen: Herr Schröder, so nicht!

In Ihrem Brief nennen Sie auch die Beschlüsse zum Kosovokrieg als Grund für Ihren Austritt ...

Ich konnte die Entscheidung, an dem Krieg teilzunehmen, damals nicht nachvollziehen. Und jetzt herrscht noch immer kein Frieden im Kosovo. Ich fühle mich bestätigt, dass ich dem Beschluss damals skeptisch gegenüberstand. Damals hatte ich wie viele Probleme, meine Position zu finden. Bei der Atompolitik ist das anders. Da weiß ich sicher, dass wir auf dem falschen Weg sind.

Ist Ihnen die Entscheidung, aus der Partei auszutreten, schwer gefallen?

Ja, sehr. Ich habe mich natürlich gefragt, was kann ich dann noch bewegen. Ich habe viele Jahre für die Grünen gearbeitet, auch als Kreistags- und Gemeinderatsabgeordnete. Ich bin wegen des Atomausstiegs in die Partei eingetreten. Ich hatte damals das Gefühl, dass die Grünen die Partei sind, mit der entscheidende Veränderungen zu schaffen sind. Das Gefühl habe ich jetzt nicht mehr.

Interview: TINA STADLMAYER

Fotohinweis:Renate Backhaus, bis 1994 im Bundesvorstand der Grünen, ist Mitglied der BI Lüchow-DannenbergFOTO: ANDREAS SCHOELZEL